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Wie lese ich eine Speisekarte, wenn ich eine Sehbehinderung habe? Wie komme ich trotz Treppe in ein Restaurant, wenn ich im Rollstuhl sitze? Wie mache ich das Personal darauf aufmerksam, dass ich schlecht höre und nur bei frontalem Sichtkontakt richtig von den Lippen ablesen kann? Komme ich mit einem Rollator durch alle Türen durch, an geparkten Autos vorbei?
„Gleichberechtigte Teilhabe muss ein selbstverständlicher Bestandteil unseres gesellschaftlichen Miteinanders sein“, sagte Günter Woltering, Geschäftsführer des Paritätischen Hessen. Der Verband war Partner der Landeshauptstadt Wiesbaden bei einem von der Aktion Mensch geförderten Modellprojekt, bei dem ein Stadtteil exemplarisch auf seine Barrierefreiheit untersucht wurde. Ausgewählt wurde Wiesbaden-Schierstein.
Im vergangenen Sommer machte sich eine Gruppe aus Vertretern des Amts für Soziale Arbeit, des Paritätischen, verschiedener Behindertenorganisationen und vor allem aber auch Menschen mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen dreimal auf, um Gastronomie, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeiteinrichtungen zu untersuchen. Dabei stieß man zwar tatsächlich auf die unterschiedlichsten Barrieren, aber auch auf viel Hilfsbereitschaft und „Bewegungsfreiheit in den Köpfen“, wie Heike Lange, Geschäftsführerin des Paritätischen Wiesbaden, erfreut konstatierte. Nicht alle Geschäfte sind ohne Stufen zu erreichen, nicht alles ist für Sehbehinderte gut lesbar oder für geistig Beeinträchtigte gleich zu verstehen, aber die Menschen hätten sich große Mühe gegeben.
„Und es ist auch gar nicht so, dass man gleich sehr viel Geld für Umbauten in die Hand nehmen muss“, sagte Ortsvorsteher Urban Egert bei der Vorstellung der Projektbroschüre in der Schiersteiner Ortsverwaltung. Manchmal reiche eine Beschilderung oder die Bereitstellung einer Lesehilfe schon aus, ein anderes Mal gehe es einfach darum, „dass vieles nur aus Gedankenlosigkeit geschieht.“ Man müsse einfach darauf aufmerksam werden.
So werde man nun beispielsweise bei den neuen Haushaltsanmeldungen des Stadtteils gleich daran denken, nicht nur den Kunstrasenplatz, sondern auch die lange überfällige Behindertentoilette für den Sportverein zu fordern, denn hier gibt es in jedem Jahr das inklusive "Turnier der Herzen", für das aber bisher immer eine mobile Behindertentoilette gemietet werden musste.
Mit den drei Begehungen der Projektgruppe „Für ein Wir in Schierstein“ – eine, so Heike Lange, „bunte Truppe, die auffiel... aber positiv!“ – wurden nicht nur die Geschäfts- und Restaurantinhaber für das Thema sensibilisiert. „Inklusion muss in den Köpfen anfangen“, sagte Günter Woltering. Die Bestandsaufnahme des Stadtteils Schierstein kann nun als gutes Beispiel dafür dienen, wie Barrieren abgebaut werden können.
Die Erkenntnisse können nun übertragen werden und vor allem sollen ihnen auch Taten folgen. „Wenn man es immer wieder thematisiert, denken die Leute auch daran“, so der Ortsvorsteher. Und Bürgermeister Arno Goßmann versprach „Wir bleiben in Wiesbaden an dem Thema auf jeden Fall dran“.
Die Broschüre ist abrufbar unter www.wiesbaden-barrierefrei.de.
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Fotos: Der Paritätische Hessen