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Drehen wir die Zeit einfach einmal 30 Jahre zurück. Schon damals war Wiesbaden die Heimat für Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern. Vorurteile und Unkenntnis der verschiedenen Kulturen untereinander sorgten schon damals für Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppierungen. In dieser Zeit gründete sich die Band Elektrodschungel. Lesen Sie die Geschichte dieser Gruppe von den Anfängen bis heute.
Für „Elektro Dschungel spielen Kebab - und andere Träume“ schrieben junge Migranten und Kinder von Gastarbeitern Lieder oder Coversongs der alten Heimatländer. Mit mehr als einem Elektro-Touch eröffneten sie sich und anderen Zugang zu musikalischen Welten zwischen Orient und Okzident, mitten in Wiesbaden. Was heute unter dem Vorzeichen der Integration gang und gäbe ist, war vor über 30 Jahren neu und der Mix der Kulturen wenig erprobt: 1985 gründete sich an der Wiesbadener Jugendwerkstatt (WJW) die Band „Elektrodschungel“. Am 25. November 2017 werden im Jugend- und Kulturzentrum Reduit in Mainz-Kastel damalige Bandmitglieder mit der nächsten Musikergeneration die Neuauflage der alten Platte bei der Releaseparty zur Wiederveröffentlichung aufführen. Dass es dazu kommt, liegt an den Jungen. Sie haben das Musikprojekt unlängst wieder entdeckt und aus der Versenkung geholt. Die Scheibe ist zum Kult geworden.
„2014 wurde ich zum Festival New Hamburg des Deutschen Schauspielhauses eingeladen. Junge Leute interessierten sich plötzlich für die Elektrodschungel-Scheibe und wollten, dass ich das damalige Projekt vorstelle“, berichtet Winfried Nacke, Jahrgang 1953. Er hatte als Sozialpädagoge an der WJW, einem städtischen Ausbildungsbetrieb, seinerzeit mit Mainzer und Wiesbadener Jugendlichen und Musikern die interkulturelle Produktion initiiert. „Anfangs waren es acht, neun Leute. Jugendliche mit türkischem, marokkanischem, polnischem, iranischem und deutschem Hintergrund. Im Rahmen ihrer Ausbildung griffen Sie das Angebot auf, in der Freizeit Musik ihrer Herkunftsländer zu verbinden und neu zu gestalten. Das war keineswegs konfliktfrei, aber immer spannend.“
Bis zur Pressung der Platte „Elektro Dschungel spielen Kebab - und andere Träume“ war ein langer Weg zurückzulegen: Instrumente anschaffen, einen Proberaum im Wiesbadener Haus der Jugend am Elsässer Platz organisieren, Stücke auswählen und einstudieren, Rechte klären. Und vor allem: einen neuen Sound finden. Interessante Kontakte entstanden, etwa zu dem bekannten türkischen Musiker Ali Derdyok, dessen Lied „Liebe Gabi“ ins Programm fand. Er selbst kam später sogar mit ins Studio und schenkte dem Projekt ein Solo. „Als sich die jungen Musiker verschiedener Nationalitäten bei der Neueröffnung der WJW in der Hasengartenstraße in Wiesbaden erstmals vorstellten, kam das gut an und wir bekamen noch mehr Zulauf und Auftritte“, so Nacke.
Mit der Idee, die Stücke festzuhalten, entstanden neue Fragen. Mit am wichtigsten - die der Finanzierung. Nacke fand Sponsoren und stellte auch Kontakt zu erfahrenen Musikern der Region her, die das Vorhaben unterstützten. Mit allen zusammen folgten 10 aufregende Tage im Studio Soundgarage des Wiesbadener Musikers Heidij Heine. In einer Auflage von 1.000 Stück erschien die Vinyl-Platte. Später wurden weitere 1.000 gepresst, die Hälfte für die Büchergilde, 300 für einen französischen Vertrieb. Heute ist die Platte eine viel gesuchte Rarität.
Am 19. Dezember 1987 fand die Releaseparty im Haus der Jugend in Wiesbaden statt. Es war ausverkauft, und 150 Interessierte mussten wieder heimgeschickt werden. Und danach ging es weiter: Nach regionalen Auftritten wurden die überregionale Presse und das ZDF aufmerksam. 1988 gab es unter anderem die 14-Tages-Tournee mit 27 Jugendlichen durch ganz Deutschland. Elektrodschungel trug seine musikalische Botschaft weiter, nach Berlin, Stuttgart, Hamburg oder Saarbrücken. 18 Personen standen auf der Bühne und in den Pausen gab es Jonglage, Tanz und Feuerspucken. „Kebab over Germany“ hieß die Kassette zur Tour. Vorläufiges Ende war 1990. Da hatte Udo Lindenberg von dem Projekt gehört und die Band 1990 in sein Beiprogramm zur Tour „Bunte Republik Deutschland“ eingeladen.
Auch die Werkstätten der WJW waren einbezogen - die Industrieelektroniker bauten zum Beispiel die Gesangsanlage, die Köche sorgten fürs Catering. Arbeitsgruppen befassten sich mit Fragen des Managements, mit der Ausstattung der Bühne und der Kleidung der Künstler, mit Foto oder Licht. Das Plattencover zeigt wild bemalte Dschungelbewohner und im Inlay waren die Songtexte nicht nur in Deutsch und Türkisch, sondern auch in Arabisch und der Sprache der Berber übersetzt. Nacke: „Zu der Zeit gab es nur zwei Setzereien in Deutschland, die das konnten. Und die mussten wir erst finden.“
Die jungen Musiker sind heute Familienväter mit Job und Eigenheim, mancher hat sich selbstständig gemacht. Musik und Tanz haben zwei zum Beruf gemacht. „Mit etlichen stehe ich in Kontakt und manche wollen jetzt wieder mitmachen“, berichtet Nacke, der noch immer die Fäden in den Händen hält. Er war auch der Ansprechpartner für die junge französische Band Orchestre du Montplaisant, die vor 3 Jahren zufällig auf die Dschungelscheibe gestoßen waren und die unter anderem mit Derya Yildirim den Anatolien Rock ins neue Jahrtausend katapultierten! Sie werden bei der ReReleaseparty der Neuauflage die Live Musik liefern, und u.a. mit ehemaligen Dschungelmusikern alte Titel neu interpretieren.
Zur Jubiläumsparty kommen auch Musiker aus Somalia und Äthiopien, sowie Beatboxer Babeli, die für weitere musikalische Zaubereien sorgen.
Und es gibt wieder eine besondere Eintrittskarte, gestaltet von dem Künstler DeePee, der damals das Cover der LP entworfen hatte. Als Bonus erhält jeder Besucher ein bis dato unveröffentlichtes Stück der Band auf einer 45“ Single inklusive Downloadcode.
Nacke: „Gewinne aus dem Konzert und dem Erlös der Nachpressung fließen in das nächste Projekt. „WELCOME TO RADIO OUTTASPACE“. Ich kenne junge Migranten, die darauf brennen, ihre Musik vorzustellen. Musik und Integration, das passt heute wie damals.“
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Was: Releaseparty Elektrodschungel
Wann: Samstag, 25. November
Uhrzeit: ab 17:00 Uhr
Wo: Reduit, MAINZ-Kastel
Eintritt: inkl. Postkarte, 45er, und Essen-Bon 15 Euro, Schüler, Studenten, Azubis 10 Euro
Kartenvorbestellung
Elektrodschungel 2017, Winfried.Nacke(at)t-online.de