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An vielen Ecken in Wiesbaden leuchtet es golden, denn Gold ist die Farbe der Biennale-Plakate und -Hinweise und wie immer in der Kunst, ist es an den Betrachtern, die Aussage der Farbwahl im Zusammenhang mit dem Thema „This is not Europe“ zu interpretieren. Denn, wie sagt Pressesprecherin Annette Bögel: „Kunst gibt keine Antworten, Kunst stellt Fragen oder gibt Anregungen“. Und Anregung ist das passende Stichwort, denn die beiden jungen Kuratoren Maria Magdalena Ludewig und Martin Hammer haben ein Programm auf die Beine gestellt, das seinesgleichen sucht. War die Biennale früher „nur“ ein Treffpunkt für Künstler aus ganz Europa, setzen sich alle Künstler und Begeleiter 2016 mit dem Thema Europa selbst auseinander. Auf den Bühnen des Staatstheaters erwarten die Zuschauer neun Gastspiele darunter eine Uraufführung, eine Europa- und mehrere Deutschland-Premieren.
Neu an der Biennale ist, dass die Kunst die Räume des Theaters verlässt und an neuen und ungewöhnlichen Orten präsent ist und Bürgern ein niedrigschwelliges Angebot macht, sich mit der Veranstaltung oder einzelnen Themen auseinanderzusetzten oder einfach nur zu genießen.
Die Biennale startet offiziell am Donnerstag, 25. August, aber schon jetzt können am Warmen Damm Besucher, Kunstfreunde und Gestrandete „ASYL“ finden. In den letzten Monaten haben viele fleißige Helfer Möbel gefertigt, auf denen die Menschen jetzt Platz nehmen können. Es gibt Getränke, Speisen und eine kleinen Fanshop mit „goldigen“ Festival Artikeln. Selbst die Kondome sind golden verpackt – schick!
Zur Einstimmung wird die dortige Eröffnungsparty empfohlen. Von hier strahlt das Festival in die ganze Stadt. Am 25. August, 20:00 Uhr erleben Sie die Illumination der Lichtskulptur des Künstlers Rainer Casper und den erstrahlenden Park, der Dank neuer Laternen – in goldenes Licht getaucht sein wird. Der goldene Glanz wird dort zur Frischzellenkur für müde Europäer.
Natürlich kann man die Biennale in Wiesbaden selbst entdecken. An vielen Stellen liegen die Programme aus und an der Theaterkasse sind Restkarten für die Aufführungen erhältlich. Schön ist aber auch ein geführter Spaziergang durch das „Asyl des müden Europäers“. Täglich um 16:00 Uhr startet die kleine Runde am Festival Zentrum. Samstags und Sonntags geht es um 14:00 Uhr auf die große Runde.
Lust auf eine Nacht in Wiesbadens einmaligem temporärem Grand Hotel? Karten für eine Übernachtung im Foyer des Staatstheaters inklusive Gute Nacht Musik und gemeinsamen Frühstück mit Künstlern und den anderen Gästen, gibt es online und an der Vorverkaufskasse des Staatstheaters.
Und auch an die Partypeople haben die Veranstalter gedacht. Wiesbadens Nachtschwärmer, Künstler, Feierwütige, Lebensdurstige und Hängengebliebene treffen sich im berühmt berüchtigten Club mit den großen Schaufensterscheiben zur Wiesbadener Prachtstraße an der Wilhelmstraße 47. Hier können sie tanzen, bis die Sohlen brennen. Dort gibt es die geilsten Tracks, herrliche Sets und kleine Live Acts und den Schnaps aus Wiesbadener Äpfeln! Definitiv der „place to be“ am Ende eines langen Festival-Tages.
Aber es gibt auch noch Restkarten für diverse Stücke. Empfohlen wird die urkomische Aufführung von „Russion blues“. Eine Familie, ein paar alte Schulfreunde, zwei Eisfischer, sie alle ziehen los, um Pilze zu finden. Beobachtet werden sie von einem Kommentator im Glaskasten über ihren Köpfen. Ein Mann im Ohr, der sagt, was wir zu sehen haben. Egal, ob U-Boote sinken oder die Toilette überläuft, Probleme gibt es nicht! Ein tiefer Blick in die Urrussische Seele.
„Lauter Normalos geben sich ein Stelldichein – mit apartem Ergebnis“ schreibt das Fachmagazin "tanz" über Gala, die neueste Arbeit des internationalen Performance-Stars Jérôme Bel. Gala ist ein Portrait – ein Portrait von Individuen, ein Portrait von Körpern, ein Portrait der Stadt, in der wir leben. Neu produziert für Wiesbaden und mit Wiesbadener*innen. Sie erobern sich die Bühne. Auch diejenigen, die sonst nie im Theater zu finden sind. Wer sind die Menschen, die in unserer Gesellschaft unsichtbar sind? Welche Körper verdrängen wir? Jérôme Bel unterläuft das verfestigte Machtsystem der Repräsentation und gibt dem Einzelnen die Chance zur Autonomie. Schonungslos. Lustvoll. Radikal schön. Ein Abend mit hohem Anspruch, an dem trotzdem viel gelacht wird. Denn Samuel Becketts berühmter Slogan „Wieder scheitern, besser scheitern!“ beweist bei Jérôme Bel seine tiefere Komik.
Europa hat auch eine hässliche Seite, die zeigt das Stück Farmakonisis. Athen, Juli 2015. Eine Gruppe junger Schauspieler probt ein Stück über den Fall Farmakonisi. Ein junger syrischer Flüchtling wurde zu 145 Jahren Haft verurteilt, als Verantwortlicher für den Tod von elf Menschen auf einem 2014 gesunkenen Flüchtlingsboot. Dabei verursachten das Unglück mutmaßlich die griechischen Grenzbeamten. Die Schauspieler reinszenieren den Gerichtsprozess, hören Zeugen und Überlebende, während ihr eigenes Leben in Griechenland längst nahezu aussichtslos ist. Geschlossene Banken, zerfallender Staat, Korruption und 50.000 Flüchtlinge pro Monat. Sie führen einen zähen Kampf um Gerechtigkeit, obwohl sogar das Geld für Benzin fehlt.
Farmakonisi ist Zeugnis der Hoffnung einer jungen Generation Griechenlands, die ihre Zukunft verteidigt und das Theater als ihren politischen Freiraum besetzt.
Ist Europa morbid? Müssen wir uns von seinen Werten und Idealen verabschieden? Eine Antwort sucht täglich um 18:00 Uhr der niederländische Künstler Dries Verhoeven in der St. Augustine’s Church. Die Glocken läuten, ein Sarg ist aufgebahrt, der Kirchenchor singt und eine uns lieb gewonnene Idee, ein Wert oder auch ein Teil unserer Gesellschaft, wird in einem Sarg aufgebahrt und feierlich zu Grabe getragen. Ist es an der Zeit, uns von der „multikulturellen Gesellschaft“ zu verabschieden? Vom „Wohlfahrtsstaat“ oder der Idee der „Ewigen Treue“?
Verhoeven orientiert sich mit großer Ernsthaftigkeit an christlichen Ritualen und lenkt den Blick auf sterbende Ideen: Haben wir den Moment verpasst, wo wir hätten eingreifen können? Oder war der Abschied längst überfällig? Mit kluger Verve inszeniert Verhoeven den spekulativen Verlust und durchlebt mit Angehörigen und Gemeinde ein Ritual der Trauer um die Zukunft, das in Wahrheit vielleicht ein Kampf um die Gegenwart ist.
Kleinere Kondolenzgeschenke in Form von Blumen oder Kränzen werden bei der Zeremonie gerne entgegen genommen.
Ein Kaleidoskop der Angebote eröffnet die Biennale nicht nur theateraffinen Menschen. Seien Sie neugierig und suchen Sie sich aus dem Programm Ihre persönlichen Highlights heraus. Die Künstler erwarten Sie!
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Hier die Links rund um die Biennale „This is not Europe“ vom 25. August bis 4. September:
Biennale Homepage
Das ganze Programm der Wiesbaden Biennale 2016
Programmheft zum Herunterladen (PDF)
Programm zum online Durchblättern (ISSUU)
Fotos: Petra Schumann