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Kunst zu ertragen ist manchmal schwer. Kaum zu glauben, dass die Werke heute hochgelobter Expressionisten im dritten Reich als entartete Kunst galten, vernichtet und die Künstler verfolgt, vertrieben und ermordet wurden. So etwas soll es auf deutschem Boden nicht mehr geben! Deshalb waren sich die Stadtverordneten ihrer Sache auch sicher, als sie die Genehmigung, im Rahmen des Gesamtpaketes für die Kunstaktionen der „Wiesbaden Biennale“ auch für den Container ohne Beschriftung und eine „menschenähnliche Statue“, gaben. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, dass es sich dabei um eine Erdogan-Statue handelt.
So staunten die Stadtverordneten nicht schlecht, als sich am Montagabend herausstellte, dass eine überlebensgroße, maßstabsgerechte Figur des türkischen Präsidenten enthüllt wurde. In einer eilig einberufenen Sondersitzung des Magistrats bekannten sich die Mitglieder zur im Grundgesetz verankerten Kunstfreiheit. Man sah weder eine rechtliche Grundlage noch einen akuten Handlungsbedarf, solange von der Kunstinstallation keine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht.
Nur ein paar Stunden später entschied die Stadt Wiesbaden am Abend, die Erdogan-Statue vom Platz der Deutschen Einheit zu entfernen. Grund dafür waren ein immer größer werdender Aufmarsch von Gegnern und Unterstützern des türkischen Präsidenten, die sich teilweise feindselig gegenüberstanden. Laut Medienberichten wurde die Statue nicht nur beschmiert sondern auch mit Eiern und Gemüse beworfen worden sein.
Damit der Abbau reibungslos vonstatten ging, sicherte die Polizei die Maßnahme ab. Rund 50 Kräfte des Polizeipräsidiums Westhessen, des Polizeipräsidiums Frankfurt und der Hessischen Bereitschaftspolizei, waren im Einsatz. Um den Abbau der Statue durch die Berufsfeuerwehr Wiesbaden zu ermöglichen, wurde der Platz geräumt. Die Polizei forderte die rund 200 Zuschauer, die sich rund um die Statue befanden, den Platz zu verlassen. Ohne weiteres kamen diese der Aufforderung nach.
Zwischenzeitlich kamen weitere Schaulustige am Platz der Deutschen Einheit an. Die Polizei sperrte den Bereich um das Kunstobjekt. Gegen 23:30 Uhr wurde begonnen, die Statue mit Hilfe eines Kranladers der Wiesbadener Feuerwehr auf den Rücken zu legen. Danach wurde das provozierende Kunstwerk auf einen Lkw aufgeladen und abtransportiert. Circa 400 Personen verfolgten das Spektakel und filmten den Abbau.
Während der Aktion diskutierten die Zuschauer über das Für und Wieder der Aktion. Besonders die türkischen Beobachter bedauerten den „schnellen Abgang“ ihres Staatsoberhauptes, während sich die meisten deutschen Zuschauer erleichtert zeigten.
Ein Mann wurde vorübergehend von der Polizei in Gewahrsam genommen. Dieser hatte, nachdem der Platz schon geräumt worden war, grundlos andere Anwesende provoziert und für Unruhe gesorgt. Einem Platzverweis durch die Einsatzkräfte kam er nicht nach. Bei seiner Festnahme leistet er erheblichen Widerstand.
Mit dem Abbau der Statue erfüllte man auch einen Wunsch des Generalkonsulat der Republik Türkei, das auf seiner Facebookseite schrieb: "Das Aufstellen der Statue unseres Präsidenten während der Biennale in Wiesbaden auf dem Platz der Deutschen Einheit hat keine guten Absichten und sie ist zudem provozierend. Um zu vermeiden, dass die Statue seitens radikaler Gruppierungen missbraucht wird, erwarten wir von der Stadt Wiesbaden, die Statue sobald wie möglich zu entfernen."
Den ganzen Tag wurde auf dem Platz der Deutschen Einheit bereits über dieses „Kunststück“ diskutiert. Türken palaverten mit Türken, Deutsche diskutierten sowohl untereinander als auch mit Türken und anderen Migranten vor Ort. Kurden und Türken gestikulierten wild, während sie ihre Argumente austauschten.
Am beliebtesten war jedoch die Aktion "den Özil machen" ein schönes Bild von sich und dem Präsidenten, gerne auch in der Özil Pose mit hochgehaltenem Trikot. Eine Karriere in der Deutschen Nationalmannschaft ist für diese Akteure damit vermutlich ausgeschlossen.
Gemeinsam mit der Landespolizei beobachtet die Stadtpolizei die Situation vor Ort. Eddings und Spraydosen wurden konsequent beschlagnahmt. Bereits ausgeführte Graffitis mit Schmähungen und ordinären Sprüchen konsequent entfernt. Nur die dunkle Markierung des präsidialen Gemächts undzusätzlichem Kreis schien keinen zu stören. Dafür schallte vereinzelt der Hitlergruß laut hörbar über den Platz.
Es wurde gefilmt, fotografiert, gestritten und gestaunt, aber alles in allem blieb es zunächst friedlich. Währenddessen meldeten sich zahlreiche Politiker per Pressemitteilungen und Bürger via Social Media Kanäle zu Wort.
So teilte der Wiesbadener Bürgermeister Dr. Oliver Franz mit: „Für mich als CDU-Politiker gehört eine Statue von Herrn Erdogan nicht auf deutschen Plätzen aufgestellt, noch dazu in einer Anmutung, wie sie eher aus kommunistischen Diktaturen bekannt ist“, so Dr. Franz. Mit Blick auf die im Grundgesetz verankerte Kunstfreiheit hat der Magistrat jedoch der Aufstellung dieser Statue zugestimmt. Solange von dieser Installation keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe, müssen wir dieses Kunstprojekt ertragen, erläutert der Wiesbadener CDU-Vorsitzende.
In die gleiche Kerbe schlägt die Junge Union und nutzt die Gelegenheit zu einem Statement über die verfehlte Integrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Die Biennale hat, laut des Vorsitzenden der JU Wiesbaden, Dennis Friedrich, ihr Ziel erreicht, die Menschen aufzurütteln. Dabei stellt er jedoch die Frage „um welchen Preis?“ und fordert bei Versuchen von hier lebenden Türken, diese Freiheit auszunutzen, um die Abschaffung einer Demokratie zu unterstützen, ein härteres Durchgreifen.
Robert Lambrou, der Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD Rathausfraktion empfindet die Aktion als: „Schwer zu ertragendes Kunstwerk, das den Finger in die richtige Wunde legt.“
Doris Hoehler schreibt in Ihrer E-Mail an Wiesbadenaktuell.de: „Ich finde diese Aktion mit Erdogan geschmacklos. Das ich sowas noch erlebe in meinem eigenen Land.“
Und Facebook-Leserin Barbara Elisa findet: Kunst....dass ich nicht lache....wie blöd halten uns die Verantwortlichen überhaupt? Einem Diktator zu verherrlichen, halte ich für sehr gefährlich!!!“
Matthias Elstner hatte schon früh einen Verbesserungsvorschlag: Reißt es ab! Das ist einfach nur irre, einem türkischen Diktator, einem Faschistenführer, ein Denkmal in Deutschland zu setzen! Da hättet ihr gleich als Figur Stalin oder Hitler nehmen können! Erdogan ist das gleiche Kaliber!"
Karl-Heinz Meier fragt: "Was hat eine Statue von Erdogan in Deutschland verloren? In einem Atemzug verteufelt ihr den wegen Pressefreiheit und zum anderen hebt ihr ihn in den Himmel. Apropos die Armhaltung zeigt starke annäherung an den Hitlergruss. Für mich unverständlich so was aufzustellen."
Der Fraktionsvorsitzende der FREIE WÄHLER/Bürgerliste Wiesbaden, Christian Bachmann fordert "eine transparente Aufstellung der Kosten für diesen Einsatz von Polizei und Feuerwehr. Wenn man den Pressemeldungen trauen darf, hat der Organisator dieser Aktion vorher keine detaillierte Auskunft darüber geben können oder wollen, sondern nur von einer Statue in Menschengestalt gesprochen. Ich möchte das Thema gar nicht künstlerisch bewerten, aber man hat ja mit der Provokation gerechnet und vielleicht sogar eine mögliche Eskalation in Kauf genommen. Die Stimmung kippte und die Eskalation war offensichtlich greifbar nah. Die Aktion ist aus dem Ruder gelaufen – auch auf Kosten der Steuerzahler."
Die Biennale hatte im letzten Doppelhaushalt noch eine Mittelerhöhung von insgesamt 200.000 Euro für die Ausrichtung des Events, das erstmals mit dem Kunstsommer verschmolzen wurde, erhalten.
"Mit dieser Aktion wurde die Sicherheitslage an einem ohnehin neuralgischen Punkt der Stadt gefährdet, sonst hätte die Polizei nicht den Abbau der Installation gefordert. Damit wurden Zusatzkosten für die Stadt und das Land verursacht, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Diese fahrlässig verursachten Kosten sollten, wenn möglich nach dem Verursacherprinzip aus der Förderung wieder entnommen werden" so Bachmann abschließend.
Die Kuratorin der Biennale Maria Magdalena Ludewig sagt zur Aktion:“ Die Statue wurde bewusst an eine Soll-Bruchstelle der Stadt gestellt. Sie soll zum Diskurs führen und schwelende Konflikte nach oben spülen.“
Dass ist den Biennale Machern gelungen, denn im Lichtkegel der Aktion wagte sich auch die neu gegründete Ortsgruppe Wiesbaden der "Identitären Bewegung Hessen" ans Licht. Damit hat sich rechts der AfD eine Gruppierung eingeordnet, die als erstes Aktionen im Laufe der Biennale, mit dem in dieser Szene üblichen Völkischen-Schmäh-Vokabular, ankündigte.
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Fotos: Joshua Ziß, Petra Schumann & privat