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Neun Monate nach Kriegsende, am 19. Februar 1946, beruft der damalige hessische Ministerpräsident Karl Geiler die 48 Mitglieder des Beratenden Landesausschusses. Das Gremium hilft dem Land kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend dabei, zur Demokratie zurückzukehren.
„Wirklicher politischer Wille entsteht nur aus der Freiheit, und so glaube ich, das deutsche Volk und auch die hessische Bevölkerung richtig zu verstehen, wenn ich sage: Das deutsche Volk hat genug von dem Zellenleiter und Blockwart.“
Es sind starke Worte, die der erste hessische Ministerpräsident Karl Geiler am 26. Februar 1946 wählt. Ein Protokoll belegt seine damalige Rede im Großen Haus des Deutschen Theaters in Wiesbaden, des heutigen Hessischen Staatstheaters. Geiler spricht an jenem Tag aus Anlass der konstituierenden Sitzung eines Gremiums, das in den nächsten Monaten erheblichen Einfluss auf die Regierungsarbeit im Groß-Hessen der frühen Nachkriegszeit nehmen sollte: des Beratenden Landesausschusses.
Nur eine Woche zuvor, am 19. Februar 1946, hatte der parteilose Jurist Karl Geiler, selbst Mitte Oktober 1945 von der amerikanischen Militärregierung zum Ministerpräsidenten ernannt, die 48 Mitglieder des Ausschusses berufen. Das ist nun fast auf den Tag genau 75 Jahre her.
Dem Gremium gehören damals je zwölf Mitglieder von CDU, SPD, KPD und LDP an. Bis Anfang Juni 1946 kommt es an vier Sitzungsterminen insgesamt sechs Mal zusammen. Den Vorsitz übernimmt der stellvertretende Ministerpräsident Werner Hilpert. Der frühere Zentrumspolitiker zählt im November 1945 zu den Mitbegründern der hessischen CDU und ist bis 1952 deren Landesvorsitzender. In der konstituierenden Sitzung sagt Hilpert, dass „wir nach dreizehn Jahren nun zum ersten Mal mit dem Beratenden Landesausschuß den Boden parlamentarischer Übung betreten“.
Ziel und Aufgabe des Ausschusses war es, die bislang noch nicht durch eine Wahl legitimierte Landesregierung unter dem Ministerpräsidenten Karl Geiler zu beraten und gleichzeitig über wichtige Fragen einer neuen Verfassung für das Land Hessen zu diskutieren. Geiler macht aus seinem eigenen Ansinnen keinen Hehl. Am 26. Februar 1946 sagt er in Wiesbaden: „Im Vordergrund steht zunächst die Wiederherstellung der Rechtsidee. Es galt und gilt auch jetzt noch, das Recht wieder in seine volle Souveränität einzusetzen, ohne die ein geordnetes Staatsleben gar nicht möglich ist. Das Nazi-System hatte den Rechtsgedanken depossediert, prostituiert und an seine Stelle den Machtgedanken und schließlich Willkür und Terror gesetzt. Daß nach einer Periode solcher kaum dagewesenen Rechtlosigkeit nun die Rechtssicherheit wieder stabilisiert werden muß, versteht sich von selbst.“ Die Sitzung im Deutschen Theater beginnt um 14:30 Uhr und dauert bis etwa 18:15 Uhr.
Nach Einschätzung von Historikern folgt das Kabinett um Ministerpräsident Karl Geiler in den nächsten Monaten regelmäßig den Beschlüssen der Ausschussmitglieder. Dabei geht es um wichtige politische Themen wie zum Beispiel die Frage, wie Flüchtlinge und Vertriebene in Groß-Hessen zu integrieren sind. Der Geschichtswissenschaftler Walter Mühlhausen kommt zu dem Urteil: „Der Landesausschuss stellte (...) ein wichtiges Bindeglied zwischen der Landesregierung und den Parteien dar. Er war zugleich Experimentier- und Übungsfeld des Nachkriegsparlamentarismus. Hier wurden die demokratisch-parlamentarischen Spielregeln (wieder) eingeübt.“
Nach Ansicht des Hessischen Landtagspräsidenten Boris Rhein (CDU) ist die Bedeutung des Gremiums nicht hoch genug zu bewerten. Er sagt: „Der Beratende Landesausschuss markiert nach dem Terrorregime der Nationalsozialisten die Rückkehr hin zur Demokratie in unserem Land. Zugleich schuf der Ausschuss eine erste wichtige Grundlage für die hessische Verfassung, die älteste bestehende Landesverfassung in Deutschland.“
Verfassungsberatende Landesversammlung wird Nachfolgegremium
Am 30. Juni 1946 schließlich wird die Verfassungsberatende Landesversammlung für Groß-Hessen gewählt, das Nachfolgegremium des Landesausschusses. Mit gut 44 Prozent wird die SPD stärkste Kraft, die CDU erhält rund 37 Prozent, die KPD kommt auf knapp zehn, die LDP auf rund acht Prozent.
Wer sich für die Protokolle der Sitzungen des Beratenden Landesausschusses interessiert, findet sie auf der Internetseite des Hessischen Landtages https://hessischer-landtag.de im Landtagsinformationssystem unter dem Stichwort Drucksachen/Plenarprotokolle.
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Fotos: Land Hessen