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„Unsere Kinder - die Distanzschüler:innen! Was kommt danach?“ Mit dieser Fragestellung wendet sich der Stadtelternbeirat Wiesbaden in einem offenen Brief direkt an Ministerpräsident Volker Bouffier, den hessischen Kultusminister Dr. R. Alexander Lorz und die jeweiligen parteipolitischen Sprecher der einzelnen Parteien. Nach einem Jahr Pandemie und fünf Monaten "digital gestützter Heimschule2, wie der Distanzunterricht formal heißt, ist der Unmut bei den Elternvertretern groß.
„Manchen Schüler:innen gelingt die selbstständige Organisation, einigen nicht und manche sind von der Bildoberfläche verschwunden. Leistungsstarke Schüler:innen sind montags schon mit dem Wochenpensum durch, der Durchschnitt arbeitet sich diszipliniert durch die Woche, und die Schwächeren verzweifeln oder geben gar auf,“ so heißt es in dem Schreiben des Stadtelternbeirats.
Nach einem Jahr mit vielen unterschiedlichen Beschulungsmethoden sind viele Eckpfeiler der Kinderentwicklung weggefallen. Rhythmen, Rituale und alles was einfach nur Spaß macht in der Schule und in der Freizeit, aber auch der soziale Halt und viel Motivation seien auf der Strecke geblieben. Daher werden die Fragen aufgeworfen: „Wie sollen alle Versäumnisse in der "Nach-Pandemie-Zeit" aufgefangen werden? Welche Fördermaßnahmen oder Feriencamps können das Jahr Pandemie in der Schule ausgleichen?“
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung ein milliardenschweres Aufholpaket vorgestellt. Es beruhige die Eltern zu sehen, dass die Schüler:innen gesehen werden, trotzdem fehle ihnen eine Strategie für die Umsetzung. „Erst angleichen und dann aufholen. Wir reden nicht von Einzelfällen individuell schwacher Schüler:innen. Die Bildungsschere hat sich weiter und flächendeckend geöffnet, zahlreiche Kinder haben nach einem Jahr ohne konstante Beschulung nicht nur Lerndefizite aufgebaut,“ sind sich die besorgten Eltern sicher.
Das Problem des nicht mehr regulär stattfindenden Unterrichts sei längst in die Elternhäuser eingezogen. „Hierhin wurde Unterrichtsvor- und -nachbereitung und das Lernen verlagert, und dennoch ist eine Benotung vom Kultusminister verordnet worden“ stellen sie fest. Die Frage, die sich daher stelle: „Notengebung, um die Schüler:innen "bei der Stange zu halten" – ist das pädagogisch sinnvoll?“
Die Schwierigkeit, die in dem Brief beschrieben wird, fängt an, wenn wieder Regelunterricht stattfindet. Dann „wird die größte Herausforderung der Schulen sein, alle Schüler:innen wieder "einzusammeln" und auf einen Stand zu bringen – inhaltlich und zwischenmenschlich. Das Wort "aufholen" suggeriert, man könne Verpasstes einfach nochmal ablaufen lassen, aber Verpasstes ist verpasst und vergangen. Es gilt nun, in die Zukunft zu schauen und deshalb muss vor dem Aufholen unbedingt das Angleichen stattfinden!“, so der Stadtelternbeirat.
In dem offenen Brief wird eine „(Lern-)standserhebung und eine Anpassung des Lehrplans, individuell und zielorientiert“ gefordert. Denn verpasster Stoff eines ganzen Jahres könne nicht 1:1 nachgeholt werden. Dafür müssten die Kinder bis in die Abendstunden an Nachhilfeangeboten teilnehmen. Aus Sicht der Eltern sei es bereits jetzt so, dass viele sich „ausgebrannt, abgehängt und hilflos“ fühlen.
Daher fordern sie: „Ein Konzept muss her, das alle Schüler:innen in allen Jahrgängen betrachtet, von Klasse 1 an! Die Schüler:innen nur auszusortieren, die es nicht schaffen im digitalen Schulraum mitzuhalten, ist ungerecht. Wir müssen hier die Gesamtheit der Kinder betrachten. Das Aufholen hat ohne Absonderungseffekte zu erfolgen. Förderunterricht und Feriencamps in Sondereinheiten gehören nur als Zusatzangebot dazu. Als alleinige Lösung des Problems kann es nicht gelten und wird auch nicht ausreichen.“
Da im vergangenen Jahr alle Familien viel Geduld aufbringen hätten müssen, damit ihre Kinder schulisch mithalten konnten, sei die Zeit dem Eindruck der Eltern nach reif, um Bildung endlich wieder Priorität einzuräumen. „Bis das neue Schuljahr beginnt ist nicht mehr viel Zeit, sich den zukünftigen Lehrplänen zu widmen. Wir richten unseren dringenden Appell an die politisch Verantwortlichen in Stadt-, Land- und Bundesregierung, unser Anliegen ernst zu nehmen,“ mahnt der Stadtelternbeirat und fordert:
Aktuelle Informationen zu den Auswirkungen der Maßnahmen zur Einschränkung der Corona-Pandemie auf die Schulen in Wiesbaden finden sich auf der Internetseite des Stadtelternbeirats der Landeshauptstadt Wiesbaden. Den offenen Brief im Original finden Sie >>> hier <<<.
Nachdem sich die Kritik des Stadtelternbeirats vor einer Wochen hauptsächlich auf die Auswirkungen der Notbremse auf den aktuellen Schulbetrieb bezog, fokussieren sie sich hier auf die fundamentale Frage nach der Zukunft ihrer Kinder. Der Stadtelternbeirat schließt diesen offenen Brief daher mit dem Aufruf: „Bitte bewerten Sie die Fragestellung mit der gebotenen Wichtigkeit: Was wird aus unseren Schüler:innen?!“
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Foto: Juraj Varga / Pixabay