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Wiesbadenaktuell-Redakteur Oliver Bomsdorf hat den diesjährigen Christopher Street Day (CSD) miterlebt. Hier sein Bericht zur Veranstaltung:
Liebe Wiesbadener, es besteht keine Gefahr. Der bunte Umzug, der sich am Samstagnachmittag durch die Fußgängerzone schlängelt, will auf Aufmerksamkeit und nichts böses. Die Parade, die zum Teil aus bunt bemalten Teilnehmern des CSD besteht, sorgt für Aufsehen.
Das Aufkommen von Mitstreitern beim Startpunkt des CSDs in Wiesbaden wirkt ziemlich putzig – mickrig mag ich nicht schreiben, schließlich ist es der erste Versuch seit 1982. Damals nämlich – so raunt man es sich auf dem Festplatz zu – soll die letzte Parade von Schwulen und Lesben in Wiesbaden stattgefunden haben und so ist dann auch der Rummel um das Bisschen ganz erstaunlich. Zumal sich das Bisschen auch aus Koblenzern, Mainzern, Darmstädtern und Frankfurtern zusammensetzt. Selbstverständlich auch Wiesbadener laufen mit.
Schon am Startpunkt, an der Rückseite des Staatstheaters, sorgt die bunte Truppe für allerlei Aufsehen. Das im Durchschnitt 65-jährige Kurpublikum staunt und fotografiert, ob der bemalten und kostümierten Jungs und Mädels, die sich hier zusammenraufen. Charmant ist, dass man dem Zusammenkommen seine neuerliche Premiere anmerkt. Die Organisatoren haben offenbar einen Baumarkt geplündert und mit dem gekaperten Material allerlei handbemalte Schilder gebaut, die nun auf Träger warten. Das ist grafisch nicht großartig und auch nicht durchgetextet oder von Marketing-Abteilungen glattgebügelt. Das ist eben echt. Es ist putzig, es ist sympathisch und es ist natürlicher als vieles, das Wiesbaden sonst auf der Demoroute zu bieten hat. Wir wollen den Wiesbadener Ordnungshütern – die ja auch nicht recht wussten, was das eigentlich ist, so eine Wiesbadener CSD-Parade – verzeihen, dass sie sich zu spät einfanden, um den Verkehr um die Parade herum zu regeln.
Die Demo selbst bahnte sich ihren Weg dann ein gutes Stück lang durch die Wiesbadener Fußgängerzone. Nach den Organisatoren nahmen gut 500 Teilnehmer am Umzug teil und sorgten für Aufmerksamkeit. Wie so oft, bei Paraden wie diesen, tun das vor allem die Bunten, die Bemalten und die Transsexuellen. Ein wild entschlossener Megaphoner skandiert „A-Anti-Anti-Homophobia“. Das groovt nicht so sehr wie die „Antikapitalista“-Version, aber ich mag die Idee. Und davon abgesehen gibt es in der Fußgängerzone ein Fotografen/Teilnehmer-Verhältnis von circa 4:1.
Wie gesagt: Die Bunten holen sich den Applaus, die Verwunderung und die Fotos. Und sie genießen es ja auch. Wie auf jeder CSD-Parade. Und sie bekommen es ja auch. Wie auf jeder CSD-Parade. Sie bekommen die Aufmerksamkeit, das Staunen, das Fotografiert werden. Warum also, warum muss dasselbe Muster nun auch durch Wiesbaden spaziert werden?
Der letzte Teil der Parade führt dann wieder ganz brav durch die städtische Wüste – die Wilhelmstraße hinunter zum Bahnhof. Fernab irgendeiner Störung des städtischen Ablaufs, hin zu einem Ort, der weit genug draußen liegt, um auch den Tag über nicht weiter zu stören – hin zum Schlachthof eben und zum Gelände davor: Landeshaupstadts Woodstock. Fein ein Stück draußen. Bloß kein Sand ins Getriebe. Aber es macht eben Sinn. Der Austragungsort bringt Sinn und die Entfernung vom städtischen Leben ist der Tatsache geschuldet, dass der CSD-Wiesbaden in seinen Kinderschuhen steckt. Das erklärt mir Susanne Stedtfeld vom Warmen Wiesbaden ausführlich und schlüssig. Den Link zum Interview finden Sie am Ende des Artikels.
Und warum es den CSD Wiesbaden geben muss, das erklärt mir Denis Janthur vom Warmen Wiesbaden. Es gibt eben auch in Wiesbaden Schwule und Lesben und die können eben in Frankfurt oder Köln nicht vertreten werden – die brauchen eine Stimme dort, wo sie leben. Und dort wo sie leben muss eben auch darauf aufmerksam gemacht werden, was noch zu tun ist – gesellschaftlich wie politisch. Während ich also unsicher bin, ob ein weiterer, kleiner CSD bedeutet, dass die Anliegen kleiner und aufgeteilter werden, erläutert mir Denis, dass es in Wiesbaden kaum schwul-lesbische Locations, Partys und Bars gibt. Die Lösung kann nicht sein, nach Frankfurt zu fahren, wenn man frei von Diskriminierung feiern will. Susanne erklärt mir, dass Politik eben auch lokal gemacht wird – von der Stadtregierung Wiesbaden, nicht nur von der Landesregierung, die sich in vielerlei Hinsicht in Sachen Gleichstellung nicht mit Ruhm bekleckert, wenn sie auf Law and Order setzt, und dass es dann eben nur bedingt nutzt, in Berlin schwul-lesbische Belange zu kommunizieren. Es ist das „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr unsere Rechte klaut“, das einen CSD in eben auch kleinen Städten und Gemeinden rechtfertigt.
Sommer, Sonne, Liebe, Sommerfest. Auf dem Platz vor dem Schlachthof angekommen, zeigt sich erneut, dass der Wiesbadener CSD in den Kinderschuhen steckt und auch, mit wie viel Leidenschaft und Liebe er umgesetzt ist. Natürlich ist es ein bisschen wie Selbstbefriedigung, wenn man die Forderung nach schwul-lesbischen Rechten an einen Platz richtet, der offensichtlich fast ausschließlich von Schwulen und Lesben bevölkert wird. Aber es ist nicht der Platz, der ausgrenzt. Verschiedenste Gruppierungen und Parteien zeigen sich hier, haben Zelte aufgebaut, sind bereit zur Diskussion. Und auch ein paar Antifaschisten sind da, die sich einfach gerne im Umfeld des Schlachthofs aufhalten und eben Teil dieses Ortes sind, dieses Ortes am Rand von Wiesbaden, der für alternative Konzepte steht und deshalb vielleicht der einzige wahre Platz für einen CSD in Wiesbaden ist. Man könnte herkommen und das schöne Fest genießen, denn geboten ist einiges. Nach nicht so kuscheligen Eröffnungsreden von Warmes Wiesbaden, die noch einmal auf die Missstände aufmerksam gemacht haben, und kuscheligeren Reden von Rose-Lore Scholz (CDU) und Oberbürgermeisters Sven Gerich (SPD), die sich wahlkämpferisch wertvoll selbstverständlich an die Schwulen und Lesben angeschmiegt haben, folgt eine Polit-Debatte der derzeit am Wahlkampf beteiligten Parteien, deren Kommentierung mir die Höflichkeit verbietet, und dann der Spaß-Teil.
Die zauberhafte Annika Hofmann führt durch ein feines Programm von Musik- und Comedy-Live-Acts, die dem schönen Tag zur Ehre gereichen. Von 16:00 bis 22:00 Uhr zeigt sich die schwul-lesbische Gemeinde Wiesbadens offen, künstlerisch, sportlich und selbstorganisiert – und das macht Spaß. Auch Wiesbadens neuer Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) ist nicht nur Besucher, sondern Teilnehmer des CSD. Bei dem Beachvolleyball Turnier zeigt er sein sportliches Können und tauscht seinen schicken Anzug gegen Shorts und ein rotes Shirt. Mit der Mannschaft von Simon Rottloff kämpft er auf um den Gesamtsieg. "Der CSD ist eine tolle Veranstaltung und entwickelt sich gerade in Wiesbaden", was das neue Stadtoberhaupt noch zu dem Event zu sagen hat können sie am Montag in einem Interview hier bei Wiesbadenaktuell.de lesen.
Ja, es könnte mehr los sein auf diesem großen, sonnigen Platz. Es ist noch Raum für Besucher. Aber das Programm, dessen Protagonisten natürlich keine Weltstars sind, ist dafür nicht verantwortlich. Das ist klasse. Offenbar hat Wiesbaden noch Schwierigkeiten mit seinen alternativen Lebensformen. Offenbar ist es in Wiesbaden leichter, Menschen in den Kurpark zu bewegen, als zum Schlachthof. Das ist schade, denn es wird diesem Ort und dieser Veranstaltung nicht gerecht. Einer ambitionierten Veranstaltung, der ich für das nächste Jahr noch mehr Erfolg wünsche. Einer Veranstaltung, die ohne prätentiöses Gehabe daherkommt, die, trotz ihrer zweifelhaften Schirmherrinnen und Sponsoren, mit viel Leidenschaft und Anspruch gemacht ist und die es – fernab irgendeines Wahlkampfgetöses – verdient hätte, von den Wiesbadener viel entschiedener und freudiger wahrgenommen zu werden.
Am späten Abend wurde es dann noch noch etwas voller. Im Schlachthof hat man eine große CSD-Party auf drei Floors gefeiert. Und dabei ging es ganz schön heiß zu - daran waren nicht nur die warmen Nachttemperaturen ursächlich. Egal welches Geschlecht, egal welche Orientierung: Toleranz, Offenheit und Miteinader standen im Vordergrund.
Viele Wiesbadener haben – aufgrund von Ressentiments, die nicht in das aktuelle Jahrhundert gehören – eine leidenschaftlich organisierte, künstlerisch sehenswerte und in allen Belangen entspannte und offene Veranstaltung verpasst. Wie schade!