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Am Montag, 29. August, stand die Beerdigung „Der Privatsphäre“ an. Dries Verhoeven begrüßte pünktlich um 18:00 Uhr, wie in den vergangenen vier Tagen, die Traugäste persönlich an der Tür der Church of St. Augustine of Canterbury. Viele haben sich schwarz gekleidet und kleine Blumensträuße für die spätere Beerdigung dabei. Im Foyer steht der Sarg mit Bukett und einem Trauerflor NSA. Auffällig sind die zahlreichen Fotografen und Kamerateams, die bereits in der Kirche warten. Ein Blitzlichtgewitter erwartet die „Trauergemeinde“ und gibt ihnen sogleich die Anmutung, nicht mehr privat vor Ort zu sein.
Schnell füllen sich die rund 200 Sitzplätze in der kleinen Kirche, überall Menschen mit Fotoapparaten und Kameras, es riecht betäubend nach Weihrauch und dann wird der Sarg von sechs Trägern herein gebracht. Zwei Ministranten führen den Zug an, hinter ihnen der Zelebrant U. Schmissat, die Orgel spielt und der Chor VIL-BALCANTO aus Bad Vilbel, unter der Leitung von B. Bach singt. Die Trauergemeinde verfolgt stehend den Einzug. Der Zelebrant begrüßt die Trauergemeinde.
Alles folgt dem Ablauf eines katholischen Trauergottesdienstes. Das Gefühl ist vertraut und gleichzeitig beklemmend. Eine Mitarbeiterin des Privatfernsehens entzündet die Kerzen mit dem Osterlicht. Es folgt das Schuldbekenntnis, dass die Gemeinde – ähnlich dem Vaterunser vom Blatt abliest. Erstaunlicherweise zögert kaum jemand den pikanten Text „mitzubeten“. Der Zelebrant beschwört den Geist von George Orwell und Aldous Huxley und die Trauergemeinde schließt mit einem inbrünstigem „Amen“!
Es folgt ein „Kyrie eleison“ der Preisgabe Persönlichkeitsrechte, dass betroffen macht und durch die Lesung aus dem „Tagebuch der Anne Frank“ noch eindringlicher wird. Die Predigt und das Glaubensbekenntnis lassen die Grenzen zu einer echten Beerdigung mittlerweile völlig verschwimmen. Ohne zu zögern kniet sich die Trauergemeinde zum Glaubensbekenntnis nieder, um ihrer Hoffnung nach einem Rückgewinn der Privatsphäre Ausdruck zu verleihen. Mittlerweile sind viele Emotional gefordert und singen bei den Fürbitten wehrlos mit. Fast erleichtert schütteln sie sich gegenseitig die Hände und wünschen sich Frieden. Unter den Klängen von Madonnas „I have a tale to tell“ geht der Opferkorb zugunsten von „Regenbogenwald“ und der dort beheimateten Pädophilen-Gruppe, die daran arbeitet, sich ob der persönlichen sexuellen Ausrichtung, nicht schuldig zu fühlen, herum. Ein Blick in den ziemlich leeren Spendenkorb zeigt – hier endet die Toleranz der Trauergemeinde offensichtlich.
Es folgt die Kommunion mit symbolischen Ohrstöpseln und dann ist es soweit. Gina-Lisa Lohfink betritt die Kirche und beklagt den Verlust der Privatsphäre. Und wenn man sie dann sieht, klein, dünn auf Schuhen die besser zum Liegen als zum Laufen dienen, tut sie einem leid und am denkt unwillkürlich an Goethes Zauberlehrling:..“ Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los….“ Denn jetzt zeigen die Fotografen und Kameraleute, warum sie heute den Weg in die Kirche gefunden haben. Die Apparate klicken im hundertstel Sekundentakt. Zwei besonders ambitionierte Medienvertreter sitzen minutenlang vor ihr und fotografieren mit der Linse nur wenige Zentimeter von Lohfinks Gesicht entfernt. Nur die breite Hutkrempe von Gina-Lisa verhindert endoskopische Aufnahmen.
Zum Ende des Trauergottesdienstes erhält jeder noch ein Sterbebildchen mit Angela Merkel im Badeanzug und man wünscht sich innig mehr Privatsphäre für die Kanzlerin.
Gemeinsam zieht der Zug zum vorbereiteten Grab am Warmen Damm. Dort wird die Privatsphäre neben ihren Verwandten beigesetzt, denn hier ruhen bereits die multikulturelle Gesellschaft, Mutter Natur, das deutsche Schuldgefühl und der Wohlfahrtsstaat. Bis zum 3. September wird jeden Abend jeweils ein weiterer Wert zu Grabe getragen. Das Frau Lohfink die Popularität der Performance gesteigert hat ist klar, aber auch wenn Gina-Lisa nicht dabei sein wird, lohnt es sich sicher dabei zu sein und über den Verlust der Werte nachzudenken.
Dries Verhoeven ist für seine provozierenden Aktionen in der Kunstwelt bekannt. Er scheut keine Tabus und bedient damit gerne die Ängste, Befürchtungen und Denkmuster der Bürger. Dabei begleitet ihn die ewig gleiche Frage, ob Kunst von Können kommt und ob Kunst gefallen muss genauso wie viele andere Künstler, quer durch alle Epochen. Wie jetzt in Wiesbaden, kommt es in schöner Regelmäßigkeit zum Aufschrei derer, die aus den unterschiedlichsten Gründen der Meinung sind, dass genau dieser oder jener Künstler verboten, geächtet oder gar ausgemerzt gehört. Wird eigentlich auch noch die Toleranz beerdigt? Und wer schützt uns vor den selbstberufenen Wächtern des Niveaus und der Zensur?
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Fotos: Petra Schumann