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Der Altmeister des populär investigativen Journalismus war zu Gast in Wiesbaden und über 300 Menschen kamen, um seiner Sicht der Dinge auf das deutsche Gesundheitssystem, am schlechten Beispiel der HELIOS Dr. Horst Schmidt Kliniken, zu lauschen.
Im Vorfeld drohten die Anwälte der HELIOS Ver.di in einem mehrseitigen Schreiben mit rechtlichen Schritten, wenn bei der Veranstaltung Filmmaterial aus der Sendung „Team Wallraff“ gezeigt werde. Als Begründung gaben sie an, dass das Material mit versteckter Kamera gedreht worden sei und nur veröffentlicht werden dürfe, wenn es sich dabei um herausragendes Informationsinteresse für die Öffentlichkeit handle.
Nun, genau so sahen es Ver.di und Wallraff und zeigten den Beitrag in voller Länge. Viele Menschen im Auditorium sahen den Film wohl zum ersten Mal. An besonders traurigen Stellen wandten sich manche ab, denn die Not der gezeigten Patienten ist im Film fast greifbar. Man braucht nicht viel Fantasie um sich vorzustellen, wie man als Betroffener in dieser Situation reagieren oder fühlen würde. An vielen Stellen wurde gelacht, jedoch eher bitter als tatsächlich belustigt.
Wallraff erläuterte im Anschluss an den Film, dass die HELIOS Klinik in Wiesbaden sicher kein Einzelfall sei, aber zu den aktuell schlimmsten Kliniken in Deutschland zähle.
Hierzu ist es wichtig zu wissen, dass die Übernahme von Kliniken aus öffentlicher Hand an Klinikkonzerne heute gängige Praxis und politische gewollt ist, um dem enormen Kostendruck im Gesundheitsbereich zu begegnen. Städte und Kommunen haben in der Regel weder die Manpower noch das Know How, um eine Klinik kosteneffizient zu führen und übergeben die Kliniken oft hochdefizitär und mit großem Sanierungsstau an Investoren, die mit harten Sparmaßnahmen, vor allem im Personalbereich, die Kliniken sanieren und daraus wirtschaftlich äußerst erfolgreiche „Gesundheitsfabriken“ machen.
Wallraff , Ver.di und viele andere stellen deshalb die zentrale Frage, inwieweit man am Thema Gesundheit verdienen darf? Zusammen mit dem Publikum war Wallraff der Meinung: “NEIN“! Zumal enorme Gewinne von 12 bis 15 Prozent von den Klinikunternehmen angestrebt werden. Das sind 10 Prozent mehr als die gängigen Gewinnmargen in deutschen Unternehmen. Dass solche Unternehmensergebnisse nur mit drastischen Sparmaßnahmen – vor allem im Personalbereich – zu erwirtschaften sind, belegt die undercover Recherche des „Team Wallraff“.
Neben der Reduzierung von Personal, ist die Verlagerung von Tätigkeiten an externe Firmen eine gängige Maßnahme. Häufig sind diese Unternehmen 100 prozentige Töchter des Mutterkonzerns. Damit schlagen die Verantwortlichen zwei Fliegen mit einer Klappe. Die Kosten werden reduziert und gleichzeitig bleiben die erwirtschafteten Gewinne im Konzern.
Aus der Parzellierung der Arbeitsgebiete ergeben sich in Praxis deutlich kompliziertere Arbeitsabläufe, da die Mitarbeiter der externen Firmen, wie zum Beispiel Reinigungsunternehmen, keine Anweisungen des Pflegpersonals entgegen nehmen dürfen. Hinzu kommt, dass im Reinigungsbereich häufig Mitarbeiter ohne deutsche Sprachkenntnisse eingestellt werden. Dass es schwer ist, diesen Angestellten die Vorschriften einer ordnungsgemäßen Klinikreinigung zu vermitteln, erklärt die hygienischen Zustände an zahlreichen Kliniken. Gemeinsam mit Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand, fordert Wallraff daher eine bundesweite gesetzliche Personalbemessung für alle Krankenhäuser. Eine solche Personalpolitik führe dazu, dass in den Kliniken „Sterbehilfe“ betrieben werden würde.
Ein anwesender Chefarzt der HELIOS Klinik, forderte Wallraff auf, die Vorwürfe der Sterbehilfe zu unterlassen. Er und sein gesamtes Team geben Tag für Tag ihr Bestes für jeden Patienten. Wallraff korrigierte seine Aussage darauf dahingehend, dass nicht das Personal, sondern die Klinikführung durch ihr Handeln, derartige Assoziationen hervorrufe.
Im Anschluss erklärte Sylvia Bühler, Bundesvorstand Ver.di, dass die Gewerkschaft in Berlin daran arbeite, vor allem die Forderung nach einem höheren Personalschlüssel gesetzlich durchzusetzen. Besonders betroffen machte der Bericht einer Ärztin der privatisierten Universitätsklinik Gießen-Marburg. Sie zitierte aus einer Stellungnahme der ASTA, über die katastrophalen Auswirkungen der Privatisierung auf Forschung und Lehre. Die Ärztin setzte sich von Anfang an gegen die Privatisierung der Uniklinik ein. Der Klinikbetreiber versucht seither ihre Aktivitäten rechtlich zu unterbinden.
Einen Link zu der Veröffentlichung finden Sie in unserer InfoBox am Ende des Artikels.
Abschließend berichtete eine niedergelassene Wiesbadener Ärztin aus ihrem Alltag mit Abrechnungsziffern und Versorgungsproblemen von Patienten, die sich nicht in eine Klinik begeben wollen. Um möglichst viele Patienten in die „Profitcenter“ Klinik zu treiben, besteht für niedergelassene Ärzte quasi keine Möglichkeit mehr, die ambulante Versorgung von Patienten in Form von Hausbesuchen abzurechnen. Dieses perfide Zusammenspiel von Krankenkassen, Krankenhäuser und Lobbyisten einerseits und den hilflosen, inkompetenten und wohlmöglich korrupten Politikern anderseits, führt zu der heute in Deutschland bestehenden medizinischen Versorgungslandschaft, in der weder der Patient, noch die Arbeit des Pflegepersonals oder die Ärztinnen und Ärzte eine entsprechende Würdigung erfahren. Zum Schluss wünschte die Ärztin allen eine gute Gesundheit, dies sei die beste Art dieses System zu überleben.
Hartmut Bohrer, Fraktionsvorsitzender der LINKE&PIRATEN, sagte in seinem Wortbeitrag, dass seine Partei seinerzeit der Privatisierung nicht zugestimmt habe. In einer aktuelle Pressemitteilung schreibt seine Partei:
CDU und SPD hätten im Frühjahr 2012 über 13.000 Unterschriften für einen
Bürgerentscheid gegen die HSK-Teilprivatisierung ignoriert und den jetzigen
Zustand sehenden Auges mitherbeigeführt. „Wann – wenn nicht jetzt – ist die
Zeit gekommen, um aus Fehlentwicklungen zu lernen, die Notbremse zu ziehen
und die Privatisierung wieder rückgängig zu machen?“, so der Fraktionsvorsitzende abschließend. Dieser Forderung schlossen sich die Anwesenden unter großem Applaus an.
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Stellungnahme der AStA Marburg