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Rot ist die Farbe des Abends. Als Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD) am Sonntag, 1. November, gegen 19:15 Uhr im Rathaus vor die Kameras tritt, ist klar: die CityBahn für Wiesbaden ist Geschichte. „Es ist wie es ist“, kommentierte Mende die deutliche Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger nüchtern und sichtlich enttäuscht. Auch Verkehrs- und Umweltdezernent Andreas Kowol (Grüne) gelingt am Wahlabend kein Lachen - und das nicht nur, weil eine Mund-Nasen-Bedeckung sein halbes Gesicht verdeckt. „Die Entscheidung ist ausgesprochen bedauerlich“, sagte er.
Die Grafik der Wiesbadener Wahlbezirke spricht eine deutliche Sprache. Rund 210.000 stimmberechtigte Wiesbadenerinnen und Wiesbadener hatten am Sonntag, 1. November, die Möglichkeit, sich für oder gegen den Bau einer Straßenbahn zu entscheiden. Ein Privileg, dass den Städten Mainz, Taunusstein und Bad Schwalbach verwehrt blieb. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 46,2 Prozent (Stand 1. November, 21:16 Uhr).
Rund 62,1 Prozent der Bürgerinnen und Bürger stimmten gegen die CityBahn, lediglich 37,9 Prozent dafür. Vor allem in den Bezirken Erbenheim, Sonnenberg, Klarenthal, Medenbach, Frauenstein, Naurod und Biebrich stieß das "Herzensprojekt" von Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende auf Ablehnung. Doch auch viele weitere Teile der Bezirksübersicht erstrahlten am Abend in Rot.
Im Innenstadtbereich hatten Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich für die CityBahn gestimmt. In Wiesbaden-Mitte kam die CityBahn auf rund 53 Prozent Ja-Stimmen, Im Rheingauviertel / Hollerborn auf gut 51 Prozent und im Westend / Bleichstraße auf 63 Prozent.
Wiesbadenaktuell hat Bürgerinnen und Bürger nach der Wahl gefragt, warum sie für oder gegen die CityBahn gestimmt haben:
„Ich habe mit Nein gestimmt. Die CityBahn passt nicht zu Wiesbaden.“
„Ich habe mit Ja gestimmt, weil der motorisierte Fahrzeugverkehr in Wiesbaden auf jeden Fall reduziert werden muss. Er hat einen viel zu hohen Stellenwert und wir brauchen alternative Möglichkeiten und da macht die CityBahn Sinn.“
„Ich habe mit Ja gestimmt. Ich werde die Bahn wahrscheinlich wenig nutzen, aber ich will denen mit meiner Stimme helfen, die sie brauchen.“
„Ich habe mich aus mehreren Gründen gegen die CityBahn entschieden. Ich wohne in der Luisenstraße und möchte keinen zusätzlichen Lärm. Ich finde die CityBahn auch nicht besonders umweltfreundlich. Es ist einfach ein Verkehrsmittel zu viel. Die Straßen sind zu eng in der Innenstadt.“
Prognosen, warum die Entscheidung so deutlich ausgefallen ist, wollte Mende am Abend nicht abgeben. „Ich habe die CityBahn für die beste Lösung für unsere Verkehrsprobleme gehalten, aber heute geht es nicht um meine Emotionen. Heute geht es darum, dass die Bürgerinnen und Bürger entschieden haben und das muss man mit Demut akzeptieren“, sagte er. Nun werde es vor allem darum gehen, den Luftreinhalteplan für Wiesbaden zu erfüllen. „Nachdem jetzt die beste Lösung – aus meiner Sicht – abgelehnt worden ist, werden wir ein bisschen Bedenkzeit brauchen, um andere Lösungen zu finden“, so Mende. Die Verkehrsproblematik habe weiterhin hohe Priorität. „Da sind sich alle einig: der Status quo ist unbefriedigend und so wie es ist, kann es nicht bleiben“.
„Es wird schwierig sein, eine Alternative zu entwickeln", erklärte Kowol. „Das braucht Zeit. Es gibt keinen Plan B. Nachdem der Plan A abgelehnt worden ist, müssen wir daran arbeiten, die Verkehrsprobleme zu lösen und den Luftreinhalteplan umzusetzen. Wir wollen weiterhin vermeiden, dass es in Wiesbaden ein Dieselfahrverbot gibt. Die Deutsche Umwelthilfe schaut genau hin, was wir hier in Wiesbaden machen." Viele Maßnahmen habe man bereits auf den Weg gebracht. So etwa die Umweltspuren. Bei der Beschaffung der E-Busse gebe es aktuell allerdings Lieferschwierigkeiten. „Wir werden das alles nochmal forcieren müssen, um in diesem Jahr den Grenzwert einzuhalten. Noch ist das Dieselfahrverbot nicht vom Tisch und die Luftqualität müssen wir weiter im Blick behalten. Am Ende des Jahres wir Bilanz gezogen."
Monatelang hatten Für- und Gegensprecher über die CityBahn diskutiert, gestritten, berichtet und für oder gegen sie geworben. Je näher der Bürgerentscheid rückte, desto rauer wurde der Umgangston. Beide Lager sahen sich mit Manipulationsvorwürfen und angeblichen Falschinformationen konfrontiert.
Nach dem Bürgerentscheid werde es nun darum gehen, die unterschiedlichen Lager wieder zu vereinen. „Damit wir wieder einen Zusammenhalt in der Stadt hinbekommen und den Wahlkampf hinter uns lassen“, so Mende. „Ich hoffe, dass die stark polarisierte Situation in einem Wahlkampf trotzdem dazu führen wird, dass wir gemeinsam nach Lösungen suchen, die mehr Zustimmung finden werden als die CityBahn“, ergänzt Kowol.
„Die Vernunft hat gesiegt. Gesunder Menschenverstand ist in Wiesbaden doch noch vorhanden“, sagte Andreas Bausinger von der Bürgerinitiative "Mitbestimmung Citybahn" am Sonntagabend.
Die Bürgerinitiative hatte sich vier Jahre lang für einen Bürgerentscheid und gegen die CityBahn stark gemacht. 2019 startete sie ein Bürgerbegehren, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Rund 10.000 Unterschriften konnten dafür in sieben Wochen gesammelt werden. Doch die Abgeordneten der Rathauskooperation erklärten das Bürgerbegehren für ungültig. Im Mai 2019 entschied die Rathauskooperation dann, den Bürgerentscheid über ein Vertreterbegehren zu ermöglichen.
„Es war ein sehr guter Abend für uns“, so Bausinger nach der Verkündung des Wahlergebnisses. Dieses lasse keinen Zweifel am Willen der Bürgerinnen und Bürger Wiesbadens zu.
Im Vorfeld des Bürgerentscheides hatten sich Befürworter und Gegner einen leidenschaftlichen Schlagabtausch geleistet. Etwa über die zahlreichen Bäume, die entlang der CityBahn-Strecke gefällt werden müssten. Eine ganze Plakatkampagne zierte die Biebricher Allee – jedes Schild ein symbolischer Grabstein aus Pappe. Das Rathaus dementierte, Oberbürgermeister Mende machte sich wiederholt stark für die Straßenbahn.
Diese war nicht zuletzt wegen ihrer immensen Kosten in die Kritik geraten. 426 Millionen Euro sollte der Bau der etwa 35 Kilometer langen Gleisstrecke zwischen Bad Schwalbach, Taunusstein, Wiesbaden und Mainz kosten. Bis zu 90 Prozent der Investitionen hätten jedoch aus Fördermitteln von Bund und Land kommen können. Die Bahn sollte Pendler dazu bewegen, ihre Autos stehen zu lassen und auf die klimaschonendere Alternative einer mit Ökostrom betriebenen Straßenbahn umzusteigen, um so die Straßen in Wiesbaden und die Umwelt zu entlasten und das Damoklesschwert "Dieselfahrverbot" abzuwenden.
Am Sonntag haben allerdings Wiesbadens Bürgerinnen und Bürger entschieden und das Projekt CityBahn mit einer deutlichen Mehrheit zu Grabe getragen
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Visualisierung: Jan Schlotter, Bearbeitet Anna Siebenhaar / Fotos: Daniel Becker