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Wiesbadenaktuell-Redakteur Oliver Bomsdorf hat den diesjährigen Christopher Street Day (CSD) miterlebt. Hier das Interview mit Susanne Stedtfeld vom Verein Warmes Wiesbaden.
Wiesbadenaktuell: Hast Du mitgearbeitet an der Umsetzung der Parade? Wie ging es Euch mit der Stadt.
Stedtfeld: Wir sind ein Team von 15 Leuten. Mit weniger wäre das nicht zu stemmen. Wir haben uns erstmal in verschiedene Projektgruppen eingeteilt und ich bin jetzt tatsächlich in dem Team Projektleitung und Koordination. Wir gucken, dass alle Rädchen zusammenlaufen. Deswegen war ich überall ein bisschen beteiligt, im politischen Teil sicher ein bisschen mehr. Mit der Stadt haben wir bisher sehr gute Erfahrungen gemacht. Die haben – alles zusammen – einen recht großen Betrag an uns gezahlt. Also im Sinne von – den größten. Die Zusammenarbeit mit dem Ordnungsamt war kein Problem. Die Anmeldung der Parade war kein Problem. Die Anmeldung vom Fest auf dem Gelände war auch kein Problem. Man merkt, dass es für die Stadt was neues ist. Die wissen nicht genau, was auf sie zukommt, wenn wir als Parade durch die Stadt ziehen. Aber dafür, dass sie keine Erfahrungswerte hatten, und wir ja auch keine hatten, ist es alles ziemlich unproblematisch von statten gegangen.
WA: Das heißt, Du bist mit einem guten Gefühl an diesem CSD unterwegs und glücklich über das, was Ihr erreicht habt?
Stedtfeld: Dadurch, dass wir ja letztes Jahr den CSD schon hatten, und ich am Anfang eines solchen Tages immer denke „Oh Gott, oh Gott, was kann alles schiefgehen? Kann ich meine Rede frei formulieren, werden genug Leute da sein? Geht die Rechnung am Ende auf? Das spielt ja auch eine Rolle. Wir wollen hier zwar keinen Gewinn machen, aber es soll am Ende eben auch keiner mit Minus dastehen. Deswegen denkt man am Anfang eines solchen Tages immer daran, was alles schieflaufen kann und man ist nervös. Der Tag geht dann in Gang. Die ersten Dinge fangen an zu funktionieren und es entstehen neue Probleme aber es kommen auch neue Lösungen irgendwoher. Aber am Ende des Tages ist immer alles super. Sofern Lösungen gefunden werden, aber da habe ich mich dieses Mal einfach drauf verlassen. Ich wusste, dass auch dieses Mal alles ein bisschen chaotisch sein wird – das gehört wohl auch dazu – aber das am Ende auch die Lösungen da sind.
WA: Die Erfahrung des letzten Jahres lässt Dich also dieses Jahr ein bisschen entspannter angehen, obwohl die Aufgaben sich verändert haben.
Stedtfeld: Ja, wir haben es ja dieses Jahr ganz anders aufgezogen.
WA: Warum glaubst Du denn, dass Wiesbaden auch noch eine eigene Parade braucht?
Stedtfeld: Wir sind ja ein Verein, der ganz viel macht in Wiesbaden und für uns ist ganz wichtig auch in Wiesbaden aktiv zu sein, weil die Menschen, die hier wohnen ja auch hier eine Stimme brauchen. Es nutzt ihnen ja nix, wenn in Frankfurt oder Köln gesprochen wird. Klar, da gehen wir auch hin, das ist ja auch wichtig. Aber uns ist eben auch wichtig, dass wir hier, zumindest in Wiesbaden, einmal im Jahr einen Tag haben, an dem wir sichtbar werden. Sonst sind wir ja mehr oder weniger unsichtbar. Wir wollen einfach die Politik auf vielen kleinen Feldern, in vielen kleinen Orten, daran erinnern, was sie noch zu tun hat. Deshalb sind in den letzten Jahren ganz viele kleine CSDs aus dem Nichts heraus entstanden – ich habe es nur gelesen: Chemnitz hat einen, Bielefeld hat einen, Rostock hat einen, Darmstadt, es gibt ganz ganz viele kleine CSDs, die daraufhin wirken, die Leute dort anzusprechen, wo sie wohnen, wo sie leben. Politik wird eben nicht nur in Berlin gemacht und auch nicht nur auf Landesebene sondern eben überall dort, wo die Menschen wohnen und deshalb war es uns auch wichtig, in Wiesbaden – nicht zuletzt Landeshauptstadt – so einen Tag zu schaffen, an dem wir einfach sichtbar sind und auf Missstände hinweisen können und die Menschen ansprechen können.
WA: Die Missstände sind ja nun größer, als sie auf einem CSD repräsentiert werden können. Wir reden ja nicht nur über die Stärkung schwul-lesbischer Rechte, sondern wir reden ja Rassismus, Sexismus und Ähnliches. Was ich mich immer Frage ist: Wird nicht alles immer zu klein, wenn man es in so kleine Teile aufspaltet? Und grenzt man vielleicht sogar mehr aus, als man zusammenführt?
Stedtfeld: Da habe ich mir auch schon viele Gedanken darüber gemacht. Eigentlich bräuchte man die Formel, um diese Welt besser zu machen. Aber wenn man diese Formel nicht ein bisschen kleiner arbeitet, könnte man ja für gar nix mehr stehen. In dem Sinne muss man die Themen, für die wir streiten, also gegen Diskriminierung und sich für eine aufgeklärte und offene Gesellschaft einzusetzen, etwas kleinarbeiten, um sie sichtbar zu machen. Wir sind gerne bei jeder anderen Aktion dabei, wenn es darum geht, gegen Diskriminierung zu wirken, sei es, um gegen die NPD zu demonstrieren oder dagegen dass – das war ja eine unserer ersten Aktionen – Bushido den Integrations-Bambi verliehen bekam, für seine Texte. Es geht also nicht nur um uns, es geht um viele Gruppen, die diskriminiert und zurückgestellt werden – so etwas bekommt eine Auszeichnung, das war eine Unverschämtheit und deswegen vertrete ich den Ansatz, dass wir die Themen etwas kleinarbeiten und einzeln behandeln müssen. Wir müssen aber auch gucken, dass wir das große Ganze nicht verlieren und uns dort einbringen. Wiesbaden versucht zurzeit ein Vielfaltskonzept zu entwickeln, an dem viele Gruppierungen beteiligt sind. Also gibt es immer die Mischung aus dem Vertreten von Einzelthemen und dem Zusammenkommen. Da muss man einfach sehen, dass man möglichst viel abdeckt. Aber wenn man alles in einen Tag verfrachtet, dann verliert es – aus meiner Sicht – an Schärfe.
WA: Zwei Dinge finde ich schwierig. Zum einen, Du hast es angesprochen, Wiesbaden ist Landeshauptstadt, ist also hessische Regierungshauptstadt und dieselbe Landesregierung, die am 1. Juni Blockupy eingekesselt hat, präsentiert sich heute als der Freund der Schwulen und Lesben. Damit habe ich ein Problem und dann finde ich natürlich Eure Schirmherrin ausgesprochen schwierig.
Stedtfeld: Ja, das finden viele. Das ist richtig. Ich muss dazu aber immer sagen: Wir haben nicht die CDU gefragt. Wir haben Kristina Schröder gefragt und zwar haben wir sie (und da hatten wir noch lange keine Oberbürgermeisterwahlen, denn wir werden heute immer wieder gefragt, warum wir Oberbürgermeister Sven Gehrich nicht gefragt haben, der ein großartiger Unterstützer ist) in einer Zeit gefragt, in der sie – das ist ziemlich genau zusammengelaufen – sich gerade gegen ihre Partei gestellt hatte.
Sie hat damals den Antrag der Wilden13 für die Gleichstellung unterstützt und wir haben gesagt, wir wollen die Familienministerin für ein Familienthema gewinnen, das wir vertreten, denn Regenbogenfamilien sind auch Familien. Wir wollten sie also als Schirmherrin, aber wir wollten vorher mit ihr sprechen und ihr das alles sagen und das hat auch alles geklappt. Wir haben ihr eben auch klar gesagt, dass wir die Politik der Bundes-CDU nicht unterstützen können, deswegen haben wir zum Beispiel die Berliner-Erklärung der 17 CSD's unterstützt. Dort haben wir uns ganz eindeutig gegen die Sprüche positioniert, die da teilweise geäußert werden von hochrangigen CDU-Vertretern, die absolut inakzeptabel sind und wir lehnen den Beschluss der Bundespartei von damals ab, die steuerliche Gleichstellung vorerst auszusetzen.
Wir haben deutlich gemacht, dass das nicht geht, wussten aber, dass sie da auf unserer Seite ist, was sie auch für uns nochmal klar wiederholt hat. Schlussendlich hat sie sich auf ihrer Facebook-Seite viel Kritik von ihren Anhängern gefallen lassen müssen, weil sie Schirmherrin des CSDs in Wiesbaden ist. Und wir wurden auch kritisiert, aber dazu ist unsere Facebook-Seite ja auch da. Letztendlich haben wir beide Kritik einstecken müssen, aber ich kann nur wiederholen, wir hätten nicht die CDU gefragt. Und es gibt diverse hessische CDU-Politiker, die unglaublich verletzende Dinge gesagt haben, die hätten wir auch niemals gefragt.
Dennoch: Wir wussten, dass sie in vielen Punkten auf unserer Seite steht und einen heftigen Kampf durchmacht. Man muss auch mal sehen, dass es wichtig ist, von außen auf solche Parteien wie die CDU einzuwirken. Zu sagen, Eure Politik geht nicht, die geht gegen das Grundgesetz, das lasst Ihr Euch immer wieder bescheinigen und das ist nicht in Ordnung. Auf der anderen Seite sind Gruppen wichtig, die das aus der CDU heraus immer wieder sagen. Deshalb ist auch die LSU (Lesben und Schwule in der Union) hier. Die hat ja auch keinen leichten Stand in ihrer eigenen Partei. Aber letztendlich ist es ein Wandel, der von zwei Seiten eingeläutet wird. Und schaut man, weg von Schwulen und Lesben, auf das Transsexuellen-Thema, dann wird in dieser Partei überhaupt nix gemacht. Das ist dann schon Arbeitsverweigerung. Und wir finden es eben unterstützenswert, wenn das Gruppen innerhalb dieser Partei kommunizieren.
WA: Das heißt, Du findest die LSU wichtiger, als dass Du sie schwierig findest?
Stedtfeld: Ich finde sie wichtig.
WA: Ich denke ja immer, man könnte aus dem Laden austreten. Anstatt ständig die Aussagen der Altvorderen zu dementieren.
Stedtfeld: Na, das passiert ja immer wieder, dass Leute dort austreten. Nichtsdestotrotz, letztendlich wollen wir ja, dass der Wandel, den wir anregen, eine Geschichte ist, die alle gefressen haben. Es nutzt mir nix, wenn ich durch die Stadt laufe und 60 Prozent sind auf meiner Seite und 40 Prozent gucken mich verächtlich an. Ich brauche Menschen in diesen Gruppen, die sich dafür einsetzen, dass die Leute umdenken. Und da ist ja in den letzten 20 Jahren einiges passiert. Natürlich zu langsam, da müssen wir nicht drüber reden. Es muss halt an verschiedenen Schnittstellen gesagt und vertreten werden und dafür gekämpft werden, dass wir irgendwann auf einen Status kommen, an dem kein Mensch sich mehr über sexuelle Orientierung Gedanken machen muss, weil jeder so leben kann, wie er/sie will.
WA: Da wären wir ja bei den Piraten und ihrer Post-Gender-Idee. Die sich davon löst, noch über Sexualität zu reden und nur noch über Gleichstellung spricht.
Stedtfeld: Da sind sie in einer Vorreiterrolle. Ich verstehe den Gedankengang sehr gut. Das Problem ist, dass die Menschen es einfach noch tun. Sie kategorisieren ständig zwischen Männern und Frauen, zwischen „was macht ein Mann, was macht eine Frau“ und das ist nicht gut, aber da muss noch viel Grundlagenarbeit gemacht werden, ehe die Leute das kapieren, was Gender- und Post-Gender-Theorien eigentlich meinen. Wenn man versucht nicht mehr über Dinge zu reden, die de facto einen Unterschied machen, bestärkt man solche Tendenzen von innen heraus. Lass' uns gar nicht über Ethnien, sexuelle Orientierung, Religion reden – dann setzt sich immer durch, was männlich, weiß und heterosexuell ist. Weil so die Strukturen laufen – deshalb muss man sie ansprechen, thematisieren und sich sehr genau überlegen, bis zu welchem Punkt man solchen Post-Gender-Theorien folgt, ohne aus den Augen zu verlieren, ob die Leute noch einen Unterschied machen. Denn solange sie ihn machen, muss man das thematisieren. Ansonsten ist an der Idee nichts auszusetzen. Die Tragik ist doch, dass Geschlecht einen sozialen Unterschied macht.
WA: Ist es also für Dich in Wiesbaden wichtig, weil es überall wichtig ist? Ist denn dann der Schlachthof – der ohnehin eine alternative Institution ist – der richtige Austragungsort? Hier stört man ja nun niemanden, was für ein Sommerfest legitim sein kann, aber eventuell nicht ausreichend Aufmerksamkeit schafft?
Stedtfeld: Wir würden es gerne in der Innenstadt machen, aber das ist mit einer Gruppe von Ehrenamtlern nicht zu stemmen. So ist der Aufwand schon riesengroß. Hier draußen haben wir den Kooperationspartner Schlachthof, wir haben Dinge, die sich relativ leicht regeln lassen und wir haben versucht, mit der Parade, die Verbindung zur Stadt herzustellen. Die Innenstadt mit dem Gelände hier draußen zu verbinden. Ich denke nicht, dass wir es in absehbarer Zeit hinkriegen, den CSD in der Stadt zu feiern. Auch wenn das schön wäre. Der Aufwand würde sich verdreifachen. Und es ist so schon schwierig, dass an diesem Tag alles passt.
WA: Das heißt, ihr habt logistisch durch den Schlachthof hier eine besondere Form der Unterstützung.
Stedtfeld: Wir haben logistische Unterstützung, wir haben Strom, wir haben Wasser, wir haben Fläche, auf der wir laut sein dürfen, Fläche, die wir nutzen dürfen. Wir müssen uns nicht groß um Genehmigungen und sowas kümmern. Wir müssen keine Technik hierher schleppen, wir haben alles hier vor Ort.
Außerdem kooperieren wir insofern, als dass die Einnahmen der Party heute Abend komplett an uns gehen. Der Schlachthof bekommt dafür das Recht, hier Getränke zu verkaufen. Der Schlachthof schmeißt seine Werbemaschinerie für uns an und wir für ihn. Da haben wir eine sehr gute Kooperation, auch auf Facebook und wir promoten gemeinsam die zweimonatige „Let’s go Queer“-Party, die wir hier veranstalten. Endlich mal wieder eine Queer-Party in Wiesbaden, bei der man sich darauf verlassen kann, dass sie regelmäßig stattfindet. Insofern trägt die Kooperation zwischen dem Schlachthof und Warmes Wiesbaden wesentlich über den CSD hinaus. Wir haben hier einfach die Profis, die wissen, wie man eine Veranstaltung organisiert. Und wir haben ein Gelände, dass sich ständig verändert und wir sind dabei. Das Ganze läuft selbstorganisiert und ist sehr fruchtbar.
WA: Kleine Gemeinden also. Sehr schön. Dank’ Dir für das Gespräch.