ANZEIGE
Die Katholische Erwachsenenbildung Wiesbaden-Untertaunus & Rheingau (KEB) eröffnet anlässlich der 75-jährigen Wiederkehr des Kriegsendes am Sonntag, 2. Februar, um 10:30 Uhr, in der Kirche St. Mauritius in der Abeggstraße eine Ausstellung mit Werken der jüngst mit dem Staatspreis NRW ausgezeichneten Künstlerin Claudia Merx. Sie trägt den Titel „…trotz aller Schwere – Vergessen und Erinnern Raum geben“.
In der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 1945 bombardierten 459 britische Flugzeuge Wiesbaden. Sie ließen ihre Fracht auf die Stadt nieder – insgesamt über 2.000 Tonnen Spreng- und Brandbomben. Eine schier unfassbare Zahl und beispielsweise deutlich mehr als bei der großen Bombardierung von Köln im Jahr 1942.
In Wiesbaden starben allein in jener Februarnacht rund 600 Menschen im Bombenhagel, während des gesamten Krieges waren es etwa 1.600 durch Luftangriffe. Nach der großen Bombardierung 1945 waren 28.000 Menschen in Wiesbaden obdachlos.
Dennoch hatte die Landeshauptstadt in jenem Winter wenige Monate vor Kriegsende unfassbares Glück im Unglück: die britischen Truppen setzten nur eine Handvoll Aufklärungsflugzeuge ein. Diese platzierten nicht ausreichend Zielmarkierungsbomben und zusätzlich lag die Stadt unter einer dichten Wolkendecke.
So waren die Ziele für die britischen Flieger nicht klar erkennbar und es kam zu einer hohen Streuung der Bomben im Stadtgebiet und der weiteren Umgebung. Historiker nennen dies als Grund, dass es in der Innenstadt nicht zu einem Flächenbrand kam, der alles zerstört hätte.
Der Wiesbadener Achim Sauerwein war damals fünf Jahre alt und erinnert sich noch gut an diese Nacht. Das eilige Wecken durch die Mutter ließ er nur unwillig über sich ergehen. So gerne wäre er in seinem warmen Bettchen geblieben, aber es half nichts: bei Fliegeralarm mussten alle Hausbewohner im Keller Schutz suchen. Im Bereich der heutigen Schönen Aussicht lebte er damals mit seinen Eltern. Schon zuvor hatte es Bomben auf Wiesbaden gegeben und auch danach, aber in dieser Nacht war besonders schlimm.
Das Haus der übernächsten Nachbarn wurde getroffen und komplett in Schutt und Asche gelegt. Das ältere Ehepaar, das dort wohnte, wurde im Keller unter den Schuttmassen begraben. Die Druckwelle des Bombeneinschlags riss eine Holztür des Kellers der Familie Sauerwein aus den Scharnieren und schleuderte sie in den Raum. Dadurch war der Blick über die Stadt frei gegeben und der kleine Achim konnte das Blitzen über der Stadt sehen.
Noch sehr genau weiß er, dass der Vater zum Schutz seinen warmen Wintermantel über den Jungen ausbreitete und eine alte Frau bei jeder Bombe, deren Einschlag zu hören war, ein Stoßgebet in den Himmel schickte. Nicht aufgeregt sprach sie, sondern klar und deutlich. Intensiv ist noch der Geruch dieser Nacht in Erinnerung. Er ist vergleichbar mit dem, der beim Entzünden von Streichhölzern entsteht und für Sauerwein noch heute so unerträglich, dass er am liebsten den Raum verlässt, wenn Streichhölzer verwendet werden.
Auch Julie Pieper aus Wiesbaden weiß noch gut, wie es damals nach den Bomben roch. Als beunruhigendes Gemisch aus kaputten Bäumen, Trümmern und Staub beschreibt sie dieses spezielle Aroma des Kriegs. Sie lebte damals in der Adelheidstraße.
Frühmorgens am 12. Oktober 1944 weckte ihre Großmutter sie mit den Worten: „Kind, etwas stimmt nicht. Wir müssen runter in den Keller.“ Ohne Vorwarnung und Fliegeralarm schlug unweit eine schwere Bombe ein und bald noch viele weitere, die vorwiegend im Bereich Adelheidstraße und Karlstraße heftige Verwüstungen anrichteten.
Im Keller suchten auch zwei Soldaten Schutz, die gerade auf Heimaturlaub waren. Dass diese Männer besonders aufgewühlt waren, weiß Julie Pieper noch ganz genau. Das hilflose Gefühl des Eingesperrtseins beunruhigte die beiden Soldaten besonders, was das damals kleine Mädchen wiederum merkwürdig fand. „Das waren doch gestandene Kerls!“, sagt sie heute.
Sie selbst beschreibt die Zeit in den Trümmern damals als abenteuerlich. Als Kind habe sie keine Angst oder Beunruhigung gekannt, vielmehr war alles abwechslungsreich und aufregend. Die Erwachsenen hatten keine Zeit, sich intensiv um die Kinder zu kümmern und in den zerstörten Häusern konnte man wirklich waghalsig spielen, auch wenn das natürlich verboten war.
Im Vergleich mit anderen Städten waren die Zerstörungen in Wiesbaden dennoch eher gering. Auch in der Großen Bombennacht im Februar 1945 landeten etliche Bomben auf unbewohntem Gebiet jenseits der Stadtgrenzen – wie etwa am Jagdschloss Platte. Trotzdem saß der Schock in der Bevölkerung tief und es breitete sich anschließend eine Art Lähmung aus. Ein echtes, konsequentes Aufräumen gab es zunächst nicht.
Stattdessen sollten im sogenannten Volkssturm nochmals allerletzte Reserven für den in Wahrheit doch schon längst verlorenen Krieg mobilisiert werden. Alte Männer und Schulkinder sollten Panzern entgegentreten und feindliche Flieger aufhalten. Am 28. März marschierten US-amerikanische Soldaten nach Wiesbaden ein. „Die waren so freundlich zu uns Kindern!“, lächelt Achim Sauerwein. „Man konnte auch gut mit denen tauschen“, ergänzt er augenzwinkernd.
Abschließend bemerkt er sichtlich bewegt, dass er schon lange nicht mehr über diese Erlebnisse des Krieges nachgedacht und gesprochen hat. Auch nicht mit den eigenen Kindern, schließlich will man von denen generell alles Schlimme fernhalten.
Da spürt man einmal mehr, dass wir jetzt noch die Chance nutzen sollten, mit Zeitzeugen von damals zu sprechen. Die Schrecken des Krieges werden durch ihre Erzählungen lebendig und führen intensiv vor Augen: so soll es nie wieder werden!
Die Ausstellung „…trotz aller Schwere – Vergessen und Erinnern Raum geben“ in der katholischen Kirche St. Mauritius, Abeggstraße 37, zeigt Werke der Aachener Künstlerin Claudia Merx und soll an den Jahrestag erinnern.
Claudia Merx umkreist in ihren Arbeiten Themen wie Leib und Seele, Verwundung, Schmerz und Heilung. Sie verwendet dabei mit Mull, Linnen und Gaze Materialien, die Wunden umhüllen und für den Heilungsprozess gegenüber äußeren Widrigkeiten schützend umschließen können.
Zum Begleitprogramm der Ausstellung gehören Vorträge sowie zwei Gespräche mit der mehrfach ausgezeichneten Künstlerin.
Zur Vernissage am Sonntag, 2. Februar lesen in Kooperation mit dem Stadtarchiv Wiesbaden Gemeindemitglieder „Stimmen der Zeit“ und zum Abschluss liest am Samstag, 18. April, die Schriftstellerin Annegret Held aus ihrem Buch „Armut ist ein brennendes Hemd.“
P.S.: Sind Sie bei Facebook? Dann werden Sie Fan von Wiesbadenaktuell.de
Was: Ausstellungseröffnung
Wann: Sonntag, 2. Februar
Wo: St. Mauritius, Abeggstraße
Beginn: 10:30 Uhr
Fotos: Annette Krumpholz, KEB