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Der Landfrauenverein Nordenstadt lud in der vergangenen Woche zu einer Wanderung durch Nordenstadt ein. Über 80 Frauen aus dem gesamten Bezirk kamen auf dem Schwanenhof zusammen, wo die Bezirksvorsitzende Helga Dreßler und Cornelia Schmidt, Vorsitzende des Ortsvereins Nordenstadt, sie begrüßten.
Stolz zeigte der Hausherr Gerhard Dreßler, dessen Familie seit 16. Generationen den Hof bewirtschaftet, sein einmaliges Kutschenmuseum, in dem er auch landwirtschaftliche Geräte, Traktoren und sonstige gesammelte Schätze ausstellt. Viele „Ah’s“ und „Oh’s“ konnte man hören. Selbst ein trojanisches Pferd ist zu bewundern! Zur Erfrischung wurden hofeigene Getränke angeboten.
Gerhard Reinemer, Vorsitzender der Historischen Werkstatt Nordenstadt, übernahm die Führung und leitete die Damen über das Feld, am Friedhof vorbei zum ältesten Haus im alten Ortskern. In der Heerstraße 15 erwartete sie Rainer Noll im über 400 Jahre alten Erbacher Hof. Spannend erzählte er von der Geschichte des Hauses und hatte sie sogar für jede Teilnehmerin ausgedruckt. Der Name geht auf Kloster Eberbach zurück, doch vom mundfaulen Volk ließ sich „Erbach“ leichter sprechen. Neben der geballten Historie war es interessant zu erfahren, dass seit 1996 eine Solaranlage für Warmwasser und eine Regenwasseranlage für die Toilettenspülung und die Gartenbewässerung sorgen. Das Wasser wird in einem 6.000 Liter fassenden ausrangierten Öltank gesammelt. Bis 1972 gab es im Wohnhaus kein Bad oder WC. Die Telefonleitung kam erst 1985 ins Gebäude.
Gegenüber dem Torhaus befand sich die Milchsammelstelle und ein paar Meter weiter das Brauhaus „Zur guten Herberge“. Das Wirtshausschild existiert noch beim Museum Wiesbaden, leider unauffindbar im Fundus vergraben. Schade, denn die Historische Werkstatt würde es gerne in Nordenstadt ausstellen.
Am alten Rathaus, das einstige Gemeindebackhaus, wies der kundige Führer Reinemer auf die Gedenkstätte der von hier deportierten jüdischen Mitbürger hin. Im kleinen Gässchen daneben standen die sogenannten Hirtenhäuser für Tagelöhner und ärmere Bewohner.
Am ehemaligen Dorfmittelpunkt Ecke Stolberger Straße und Heerstraße gibt es das älteste nach wie vor bestehende Nordenstadter Gasthaus „Alte Krone“ von 1782. Auf dieser Kreuzung feierten die Menschen früher die Kerb. Der Weg führte weiter entlang der Stolberger Straße zum Alten Schwanenhof. Der Name stammt vom vormaligen Gasthof „Zum Schwanen“. Als die Landwirtschaft es erforderte, bauten die Dreßlers den heutigen Aussiedlerhof an der Igstadter Straße.
Am Ende der Stolberger Straße bildete die Oberpforte die nördliche Begrenzung, sie fiel mit der Unterpforte 1818 der Abrissbirne zum Opfer. An die östliche Ortsgrenze erinnert der Grabenweg, 1970 wurde der Graben zugeschüttet. Rechts davon existierten Judenhäuser und -geschäfte. Der Horchem war die nächste Station, der Namen bedeutet vermutlich "Brunnen im Sumpf". Vor dem zweiten Weltkrieg in Hindenburg Brunnen umbenannt, trägt er seit 1989 wieder seinen alten historischen Namen.
Nun erreichte die Gruppe ein Schmuckstück von Nordenstadt: das Heimatmuseum an der Turmstraße. Im Museumshof verwöhnten die Nordenstädterinnen ihre Gäste mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen, bevor alle in kleinen Gruppen das Museum besichtigten. Das Fachwerkhaus birgt in seinen Räumen einen Tante Emma-Laden von 1910, eine Gaststube mit Vorkriegsmöbeln, eine Küche von 1920, einen Frisörladen von 1930, eine Schusterwerkstatt, eine Schulklasse und vieles mehr. Die gute „Stubb“ aus der Gründerzeit im Obergeschoss fungiert als Trauzimmer. Beachtlich außerdem das ehemalige Spritzenhaus, welches als Gefängnis diente, das „Stümpertche“ (1879). Heute ist die Einrichtung einer Wachstube von 1914 zu sehen.
Dankbar nahm man anschließend in der evangelischen Kirche direkt neben dem Heimatmuseum Platz. Gerhard Dreßler wusste anschaulich über das sicherlich älteste Nordenstadter Gebäude zu berichten. Als Baujahr des unteren Teils des romanischen Turms wird das 11. Jahrhundert angenommen. Die Gemeinde umfasste einst Nordenstadt, Wildsachsen und Medenbach. Die Männer saßen auf der Empore, die jungen Frauen rechts vom Gang und die Älteren links, weil da ein Ofen wärmte. Die Bänke auf der Empore ließ der seinerzeitige Kirchenvorstand auf Wunsch des Gesangvereins entfernen. Die Sänger traten jedoch nur ein paar mal dort auf. Heute stehen oben Stühle, die der Vortragende gerne wieder durch die alten Bänke ersetzt hätte.
Die Organistin Rosemarie Kost erfreute die Anwesenden mit ihrem Orgelspiel und begleitete sie bei „Großer Gott, wir loben Dich“ und „Geh aus mein Herz“.
Einen würdigen Abschluss fand der Wandertag im berühmten „Frankfurter Hof“ an der Oberpfortstraße. Das über Nordenstadt hinaus bekannte Lokal zog zusätzlich einige tagsüber verhinderte Landfrauen an. Auch das Wetter spielte mit, laut Gerhard Reinemer ist Gott Mitglied in der Historischen Werkstatt – die Bezirksvorsitzende Helga Dreßler konterte: „und bei den Landfrauen!“
Fotos: Privat