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Beschäftigten, die in Wiesbaden nicht nach Tarif bezahlt werden, entgehen je nach Beruf und Betrieb monatlich mehrere hundert Euro. 6,57 Euro Verdienst beträgt der Unterschied für jede geleistete Arbeitsstunde. Darauf hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) mit Blick auf neue Zahlen des Statistischen Bundesamtes hingewiesen. In Hessen verdienen danach Beschäftigte, die in tarifgebundenen Unternehmen arbeiten, im Schnitt 21,18 Euro pro Stunde. In Betrieben ohne Tarifvertrag sind es lediglich 14,61 Euro.
„In der Corona-Krise wird diese Einkommenskluft teils noch größer. Denn wo ein Tarifvertrag gilt, stocken Firmen häufiger das staatliche Kurzarbeitergeld auf“, sagt Peter-Martin Cox von der NGG-Region Rhein-Main. Wer etwa in der Systemgastronomie (McDonald’s, Burger King) arbeite, komme in Kurzarbeit auf 90 Prozent des Netto-Einkommens – per tariflicher Regelung. In Hotels und Gaststätten ohne Tarifvertrag oder Betriebsrat seien Beschäftigte im Zuge der Pandemie hingegen deutlich häufiger von existentiellen Nöten betroffen – bis hin zur Sorge um ihren Arbeitsplatz. „Umgekehrt sorgen Arbeitnehmervertreter aber auch dafür, dass zusätzliche Belastungen erträglich bleiben. So haben sich in der Ernährungsindustrie Arbeitszeitkonten bewährt, mit denen Auftragsspitzen, etwa durch Hamsterkäufe, bewältigt werden können“, erklärt Cox.
Der Gewerkschafter appelliert an Beschäftigte im Lebensmittel- und Gastgewerbe, sich gerade in Pandemiezeiten für ihre Belange einzusetzen. „Es geht darum, solidarisch zu sein und gemeinsam durch diese schwierige Zeit zu kommen. Je stärker Gewerkschaften und Betriebsräte sind, desto besser sind Beschäftigte gegen die Folgen der Krise gewappnet“, so Cox. Am Ende nutze dies auch den Unternehmen. Durch faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen könnten sie Fachpersonal halten, das auch nach der Krise dringend gebraucht werde. Außerdem profitiert die öffentliche Hand: Nach einer DGB-Studie würden die Einnahmen durch die Einkommenssteuer in Hessen um 486 Millionen Euro steigen, wenn alle Beschäftigte nach Tarif bezahlt würden. Die Sozialversicherungen kämen auf ein Plus von 946 Millionen Euro. Die Kaufkraft von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern würde sogar um 1,4 Milliarden Euro wachsen. Die Ergebnisse der Studie gibt es hier.
Nach Angaben des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung galt in Hessen zuletzt für 57 Prozent aller Beschäftigten ein Tarifvertrag. „Die sinkende Tarifbindung ist auch dafür verantwortlich, dass die Einkommenszuwächse trotz der vergangenen Boom-Jahre nur sehr dürftig ausfielen“, urteilt Cox. Laut Statistischem Bundesamt wuchsen die Bruttoverdienste Vollzeitbeschäftigter in Hessen zwischen 2010 und 2019 preisbereinigt um 7,6 Prozent.
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Foto: NGG