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Wer stets mit offenen Augen durch die Wiesbadener Innenstadt geht, bemerkt schon seit Tagen, dass sich etwas verändert hat. Auf dem Boden weisen Pfeile und aufgesprühte Worte den Weg zu verschiedenen Orten und in seit langem verwaisten Gebäude ist scheinbar wieder Leben eingezogen. Nach ihrer ersten Biennale in Wiesbaden 2016, die sich mit dem Thema Europa auseinandersetzte, hat sich das Kuratorenpaar Maria Magdalena Ludewig und Martin Hammer diesmal der Frage zugewandt: Was kommt nach dem, was gegenwärtig Kunst ist? Oder anders gesagt, wann wird ordinär, prekär und vulgär zur als geschmackvoll bewerteten Normalität?
Dazu schaffen die beiden eine neue Realität. Was exklusiv und wertvoll ist wird gemein und alltäglich. So wie der REWE Markt im Foyer des Staatstheaters, in dem in den kommenden elf Tagen 35 Auszubildende im neobarocken Goldglanz das übliche Sortiment des Supermarktes zum Verkauf anbieten. Luxusshoppen auf ganz hohem Niveau!
Für die drei M (Maria Magdalena und Martin) ist nicht unmöglich und kein Tabu zu groß, als dass sie es nicht brechen würden. „Das Motto bedeutet für uns: Wie gehen wir damit um, dass undenkbares einfach passiert? Was, wenn in der Zukunft alles endet, was seit Jahrhunderten als gesellschaftlicher Konsens galt und plötzlich nicht mehr selbstverständlich ist?“ fragt Maria Magdalena Ludewig.
Dazu sind sie an Orte gegangen, wo es den meisten Bürgern weh tut. Sei es weil es dort so morbid ist, dass man nicht dort sein möchte oder das Edle und Schöne so gewöhnlich macht, das es weh tut, die Umnutzung zu sehen. So wie die völlig verdreckte City-Passage, die mit Kunst belebt wird und eben das wunderbare Staatstheater, das eine Nachnutzung als Supermarkt und Autokino erfährt.
Intendant Uwe Eric Laufenberg fragte sich in der Planungsphase öfters, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte, den Kuratoren freie Hand zu lassen? „Wenn es um die Hauptbühne unseres Hauses geht, geht es ans Eingemachte. Für Theaterleute ist es fast körperlich schmerzhaft, wenn dieser Ort plötzlich eine Art Downgrade erfährt.“
An dieser Stelle alles aufzuzählen, was es in den kommenden elf Tagen alles in Wiesbaden zu entdecken gibt, würde die Spannung, aber auch die Überraschung, vorwegnehmen. Spielorte sind neben dem Staatstheater in der Wartburg, in der sich unter dem Titel „Migrantenstadl“ die Künstler mit dem zurzeit meistdiskutiertesten Thema in Deutschland beschäftigen.
Wagen Sie sich doch einfach mal ins „Hinterland“, dem Festivalcafé an der Ecke Schwalbacher Straße/Faulbrunnenstraße, hier treffen sich die Künstlerinnen und Künstler zum Austausch und auch normale Gäste sind herzlich willkommen. Dort finden Sie die Programmzeitung, die durch weißen beziehungsweis schwarzen Hintergrund sofort signalisiert, welche Veranstaltungen kostenfrei sind. Sie sind mehr der digitale Typ? Dann finden Sie das Programm auch auf der Homepage.
Wenn wir gerade über Geld reden, natürlich kostet die Biennale Geld, genauer gesagt 1,5 Millionen Euro. Davon übernimmt das Land 770 000 Euro und die Stadt rund 400 000 Euro. Die Differenz kommt aus dem Kulturfonds Frankfurt Rhein-Main, der Kulturstiftung des Bundes und anderen Trägern.
Und wer nur begrenzt Bock auf Kultur hat, dem sei das Sonnendeck ans Herz gelegt. Ab 22:00 Uhr kann man auf dem Dach des City-Parkhauses während der Biennale tanzen, chillen, mit Künstlern ins Gespräch kommen, flirten oder trinken, um frei nach Friedrich II, König von Preußen, "nach seiner Façon selig zu werden."
Übrigens alles, was sich in der ehemaligen City-Passage abspielt, ist erst für Zuschauer ab 16 Jahren zugänglich, denn hier stoßen Besucher auf so ziemlich alle Urängste der Menschheit und auch das Thema Sex kommt bei der Biennale nicht zu kurz. Ein Tipp, lassen Sie sich von dem Begriff Pornokino nicht irritieren, wenn überhaupt, spielt sich dort alles in Ihrem Kopf ab! Sind das für Sie jetzt BAD NEWS?
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Fotos: Petra Schumann