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Die IHK hatte vor über einer Woche das Hintergrundpapier „The Big Picture: Mobilität und Verkehr in der Wirtschaftsregion Wiesbaden“ sowie die Video-Impulse der Experten auf ihrer Homepage veröffentlicht.
Die IHK-Vollversammlung hat nun Position bezogen – die gewählten Repräsentanten der regionalen Wirtschaft haben sich mehrheitlich für den Bau einer City-Bahn in Wiesbaden und dem Rheingau-Taunus-Kreis ausgesprochen.
In ihrer digitalen Sondersitzung am Dienstag, 29. September, stimmten 23 Mitglieder des Gremiums für den Bau einer Citybahn, 15 dagegen, es gab eine Enthaltung.
„Das Parlament der Wirtschaft ist der Ansicht, dass eine Straßenbahn, die Wiesbaden, das Aartal und Mainz verbindet, Teil einer zukunftsfähigen Ausgestaltung des Verkehrsangebotes ist und dazu beitragen kann, die Verkehrsprobleme der Region nachhaltig zu lösen“, heißt es wörtlich in dem Beschluss. Vorausgegangen war eine intensive Befragung von Fachexperten und Gutachtern zu offenen Punkten der Wirtschaft, an der sich 90 Unternehmerinnen und Unternehmer beteiligten, darunter neben den abstimmungsberechtigten Mitgliedern der Vollversammlung auch Vertreter aus den fachlichen Ausschüssen der IHK Wiesbaden.
Das Parlament der Wirtschaft war sich einig, dass es mit Blick auf die Verkehrsprobleme in der Region höchste Zeit zum Handeln ist. Dabei dürfe die City-Bahn nicht isoliert betrachtet werden, sondern als Teil eines Gesamtkonzepts zu Mobilität und Verkehr in der Wirtschaftsregion – entscheidend sei eine Verzahnung mit anderen Verkehrsmitteln.
„Wir sehen die City-Bahn keinesfalls als Allheilmittel für die Lösung unserer Verkehrsprobleme“, sagte IHK-Präsident Dr. Christian Gastl, „aber als wichtiges Puzzle-Teil im Gesamtsystem“. Breite Unterstützung gab es aus dem Gremium für das umfassende Maßnahmenpaket von Stadt und Region zu Mobilität und Verkehr.
Die Befürworter der Straßenbahn unter den Wirtschaftsvertretern erhoffen sich eine Belebung von Geschäften, Restaurants und Kultureinrichtungen durch eine verbesserte Anbindung. Außerdem seien Unternehmen für Mitarbeiter besser erreichbar, Fachkräfte seien flexibler in ihrer Wohnortwahl – damit könne ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigen. So wäre die Straßenbahn eine zusätzliche, emissionsarme Verkehrsachse nach Mainz und würde zudem das Aartal mit Städten wie Taunusstein und Bad Schwalbach besser erschließen. Eine leistungsfähige Schienenanbindung des Untertaunus wird von der Mehrheit des Gremiums als dringend notwendig erachtet, um dort Wachstums- und Entwicklungschancen zu heben und den Tourismus zu stärken. Vom Investitionsvolumen des Projekts erhoffen sich die Befürworter der City-Bahn positive Impulse für die Gesamtwirtschaft.
Kritische Stimmen gab es vor allem zur Bauzeit und der Finanzierung des Projekts – so wurde etwa bemängelt, dass noch keine Berechnung der Folgekosten und auch kein Finanzierungskonzept vorliegen. Betriebe entlang der Strecke müssten während der Bauzeit mit Umsatzeinbußen rechnen – wenn sich diese verlängere, könne das gerade für Einzelhändler entlang der Strecke das Aus bedeuten, so die Gegner des Projekts im Wirtschaftsparlament. Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage, wie sich die Verlegung von Schienen auf den Verkehrsfluss auswirkt und ob eine Straßenbahn mit neuen technischen Entwicklungen im Bereich der Mobilität mithalten kann. Weiterhin wurde hinterfragt, ob nicht zunächst kurzfristig realisierbare Maßnahmen wie Digitalisierungsprojekte greifen sollten. Auch sei überhaupt nicht klar, wie die Lebenswirklichkeit in Mobilitätsfragen in 20 Jahren aussehe.
Als Grundlage für seine Entscheidung betonte das Gremium, dass Investitions-, Betriebs- und Instandhaltungskosten realistisch eingeschätzt und mit einem tragfähigen Finanzierungskonzept hinterlegt werden müssen. Da eine City-Bahn stadtbildprägend sein kann, müssten City-Bahn-Fahrzeuge und Haltestellen stadtbildverträglich gestaltet sein. Weiter heißt es in dem Beschluss: „Um Beeinträchtigungen für Gewerbebetriebe während der Bauzeit zu minimieren, müssen ein Entschädigungsmanagement, ein Baustellenmana¬gement und ein Baustellenmarketing eingeführt werden. Die Innenstadt muss mit allen Verkehrsmitteln erreichbar bleiben", erklärt Gastl.
Sollte sich der Bürgerentscheid in Wiesbaden gegen eine City-Bahn aussprechen oder eine erforderliche Mehrheit nicht erreicht werden, erwarten die Vertreter der heimischen Wirtschaft eine rasche Entscheidung der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung über zukunftsorientierte Verkehrsinfrastrukturen und Verkehrsangebote.
Pro- und Contra-Stimmen zur City-Bahn hatte die IHK Wiesbaden bereits 2018 eingeholt, unter anderem in der gemeinsamen Informationsveranstaltung „City-Bahn – Chancen und Risiken für die Wirtschaft“ mit der IHK Rheinhessen und den Handwerkskammern Wiesbaden und Rheinhessen. Vor genau zwei Jahren – im September 2018 – hatte sich das Parlament der regionalen Wirtschaft in einem Zwischenbeschluss noch mit einer Mehrheit von 30 zu 6 Stimmen, bei 3 Enthaltungen, gegen das Projekt ausgesprochen: Die gewählten Unternehmerinnen und Unternehmer kritisierten seinerzeit, dass für ein Projekt in dieser Größenordnung viele Voraussetzungen noch nicht geklärt seien und forderten das Stadtparlament Wiesbaden und den Kreistag des Rheingau-Taunus-Kreises auf, offene Aspekte zu klären. Die IHK hatte den anschließenden Prozess begleitet und sich konstruktiv-kritisch bei Mobilitäts- und Verkehrsthemen eingebracht.
„Jetzt liegen Antworten auf viele Fragen der Wirtschaft vor“, sagte IHK-Präsident Gastl bei der virtuellen Sitzung im September 2020. Um einen Überblick über alle laufenden und geplanten Maßnahmen im Bereich Mobilität und Verkehr zu geben und diese in einen aktuellen Gesamtkontext zu stellen, hatte die IHK bereits vorab in elf Videoimpulsen Experten aus der Verwaltung und Gutachter zu Wort kommen lassen und diese über ihre Homepage für alle zugänglich gemacht. Dort findet sich auch ein Hintergrundpapier zu laufenden und geplanten Verkehrsprojekten in der Wirtschaftsregion.
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