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Der Saal im Georg-Buch-Haus in der Wiesbadener Wellritzstraße war am Mittwoch, 3. April, prall gefüllt. Der DGB hatte die OB-Kandidatin Christiane Hinninger (GRÜNE) und fünf ihrer Mitbewerber zum Wahllopoly-Abend geladen. Mit dabei und in Spiellaune waren die Kandidaten Gert-Uwe Mende (SPD), Eberhard Seidensticker (CDU), Sebastian Rutten (FDP) und Ingo von Seemen (Die Linke). Eingeladen, aber wegen einer Ortsbeiratssitzung verhindert, war Christian Bachmann (FREIE WÄHLER). Dr. Eckhard Müller (AfD) hatte keine Einladung erhalten.
Die Idee der Gewerkschafter war es, in einer lockeren Atmosphäre die Positionen der Bewerberin und den Bewerbern zu dringenden Fragen der Wiesbadener Stadtpolitik „herauszuspielen“.
Der Würfel entschied, welchen Fragen die mehrköpfige gewerkschaftliche Jury und das Publikums stellen durften, denn beim Wahlopoly wurden weder Häuser und Hotels noch Luftschlösser gebaut, sondern Fragen zu Bildungs-, Sozial-, Wohnungs- sowie Verkehrs- und Industriepolitik gestellt. Dabei ging es nicht darum, anderen das Geld abzunehmen, sondern vielmehr um schlüssige Antworten, wofür die fünf das Geld ausgeben würden, wenn sie Oberbürgermeisterin oder Oberbürgermeister der Landeshauptstadt wären. Für die Beantwortung der Fragen hatte jeder Teilnehmer ein begrenztes Zeitlimit. Im Anschluss stimmten Jury und das Publikum per Emoji-Karte (Daumen hoch oder runter) ab, wie zufrieden sie mit dem Statement waren.
Um es vorweg zu nehmen, Ingo von Seemen hatte in diesem Kreis eindeutig ein Heimspiel. Seine kompromisslosen Positionen wie Rückkauf der Dr. Horst-Schmidt-Kliniken, kostenloser ÖPNV mit Einstieg über ein 365 Euro Ticket für alle, niedrigere Mieten, Förderung der integrierten Gesamtschulen statt Gymnasien, stießen beim Publikum, wie auch auf dem Podium bei der Jury auf offene Ohren und einhellige Zustimmung. Dabei blieb die Frage nach der Finanzierung dieser Forderung weitestgehend offen. Denn schon die Option, was er mit einem plötzlich auftretenden Haushaltsüberschuss von 100.000 Millionen Euro tun würde, machte klar, dass damit noch nicht einmal der Rückkauf der HSK zu stemmen ist.
Besser vorbereitet zeigte sich in diesem Gebiet der FDP-Kandidat Sebastian Rutten, der Sozialexperte wartete mit Detailwissen zu Ausgaben und Bedarfen in unterschiedlichen Bereichen auf. Diese Fakten stießen jedoch nur auf geringes Interesse im Publikum, zumal Rutten diese Informationen sehr leise und wenig pointiert vortrug. Berücksichtigt man, dass Rutten schon allein durch seine Parteizugehörigkeit in diesem Umfeld einen schweren Stand hatte, kam er im Voting sogar noch recht gut weg.
Sein Mitbewerber Eberhard Seidensticker kämpfte mit der Frage der Wiesbadener Schulpolitik. Hier wird der Stadt schon lange der Vorwurf gemacht, einseitig ausschließlich den Gymnasialbereich zu fördern. Hier sitzen jedoch alle Parteien zwischen Baum und Borke, denn auch in der Landeshauptstadt folgen die Eltern dem Trend ihre Kinder, ungeachtet der Empfehlung der Grundschule, unbedingt auf ein Gymnasium zu schicken. Somit ist die Stadt quasi gezwungen, diese Plätze vorzuhalten. Für das in der Regel nach zwei bis drei Jahren auftretende Problem der Schulformwechsler, die in Klasse 8 und 9 auf Real- und Gesamtschulen verteilt werden müssen, gibt es keine befriedigende Lösung. Oft starten diese Schulen in der Klasse 5 nur drei oder vierzügig, sodass es ihnen nicht möglich ist, in den oberen Klassen die hereinströmenden Ex-Gymnasiasten aufzunehmen. Ein Problem, dass vielen Eltern/Wählern erst auffällt, wenn ihr Kind betroffen ist. Seidensticker sprach sich daher für den Bau der zwei geplanten neuen Gymnasien aus, will aber auch die bestehenden Gesamtschulen (hier konkret die Wilhelm-Leuschner-Schule) sanieren und beibehalten. Richtig überzeugen konnte er mit diesem Statement an diesem Abend jedoch weder das Publikum noch die Jury.
Gert-Uwe Mende macht klar, dass für ihn die Zukunft des ÖPNV nur mit der CityBahn denkbar ist. Trotzdem sprach er sich für eine Bürgerbefragung zu diesem Thema aus. Mehr begeistern konnte er sich für das Thema Zusammenhalt in der Wiesbadener Bürgerschaft. Darauf setzt er generell in seinem Wahlkampf. Er ist für das Miteinander und das Zusammenrücken. Sein erklärtes Ziel ist es, die Wiesbadenerinnen und Wiesbadener nicht weiter auseinanderdriften zu lassen. Diesem Ziel will er seine politische Gestaltung in Wiesbaden vornehmlich widmen. Hierzu gehört seiner Meinung nach eine Mietpreisbremse genauso wie die Förderung von Kulturprojekten in der Stadt.
Christiane Hinninger thematisierte an diesem Abend als einzige das Thema Frauenförderung in Wiesbaden. Die Frauenquote im Magistrat und den Dezernaten beträgt 0, das ist beschämend. Auch in anderen führenden Positionen kommen Frauen quasi nur als Belegexemplare vor. Erstaunlich, wo doch seit Jahren Frauen statistisch die besseren und höheren Bildungsabschlüsse erzielen. Hier gibt es viel zu tun. Das sah der Saal nur bedingt so. Zumindest an diesem Abend war die Mehrheit mit der bestehenden Macht der Männer in den städtischen Führungspositionen zufrieden. Beim Thema Mindestlohn zeigte sich Hinninger über die zaghafte und minimalistische Forderung ihres Mitbewerbers Ingo von Seemen erstaunt. Niemand könne von den zurzeit gezahlten Mindestlöhnen ohne Aufstockung leben. Hinninger legte sich deshalb auf einen Mindestlohn von >15 Euro die Stunde fest.
Neben den Fragen zu den politischen Themen bargen die Karten im Ereignisfeld noch ein paar Überraschungen. So wurde gefragt, wie viele Mitglieder der DGB deutschlandweit unter seinem Dach vereint. Die Antwort (knapp 10 Millionen) kannten weder die Kandidaten noch die Jury-Mitglieder auf dem Podium. Zum Glück konnte der Moderator des Abends, Sascha Schmidt (DGB Kreisvorsitzender Wiesbaden Rheingau-Taunus), hier aushelfen.
Einen eindeutigen Sieger konnte man an diesem Abend nicht ausmachen, zündende Ideen zum Thema Wirtschaftsförderung und Verödung der Innenstadt fehlten. Das Rennen um das Amt des/der Oberbürgermeister/in in Wiesbaden bleibt weiter offen.
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Fotos: Petra Schumann & Regina Gollor