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Der Circus, wie ihn viele Menschen noch in den Köpfen haben, ist ein Auslaufmodel. Marschmusik, der Direktor im muffigen Frack, Pailletten und grell geschminkte Assistentinnen von Messerwerfern mit schwarzem Brusthaar gehören ebenso mehr und mehr der Vergangenheit an, wie der Duft nach Sägespänen und exotische Tiernummern.
Die jungen Artistinnen und Artisten, die mit 24 verschiedenen Nummern am Wettbewerb des European Youth Circus teilnehmen, wurden von einer Europäischen Fachjury unter 157 Bewerbungen ausgesucht und treten in zwei Altersgruppen 12 bis 17 und 18 bis 25 Jahre an. Für die Gewinner gibt es Geldpreise von 500 bis 3.000 Euro sowie Engagements in verschiedenen Varieté-Theatern in Deutschland.
Durch diese und die kommenden Vorstellungen führt Axel Schiel. Der Moderator und Jongleur stellte jeden Artisten mit einem kleinen, auf den Manegeneingang projizierten Film, in dem sich die Künstlerinnen und Künstler mit eigenen Worten beschreiben, vor.
Los ging es jedoch mit dem Auftritt aller Künstlerinnen und Künstler mit einer wunderbaren Tanzchoreographie, die bestens auf den kommenden Abend einstimmte und deren strahlende Gesichter die Vielfalt der Teilnehmeraus 12 verschiedenen europäischen Ländern verdeutlichten.
Als erstes präsentierte die 22-jährige Russin Liubov Uliankina ihre Trapezshow in der Manege. Ihr spielerisch leicht aussehender Tanz in der Circuskuppel, mit den fließenden Übergängen der verschiedenen Elemente ihrer Performance, gab viel Anlass für Zwischenapplaus. Mit einer Mischung aus atemberaubenden Pirouetten, Kontorsionsakrobatik und unglaublicher Muskelkraft, gepaart mit großem Gleichgewichtsgefühl – wie bei einem einhändigen Handstand auf der Schaukel – verlieh der Nummer eine kraftvolle Schwerelosigkeit.
Stella Garbe Huedo aus Darmstadt zeigte in ihrer Disziplin der Handstandakrobatik ein Novum. Verhüllt mit einem transparenten Tuch und den darauf entstehenden schillernden Lichtreflexionen, kombinierte sie auf poetischen Weise die Disziplinen Equilibristik, Akrobatik und Tanz.
Unglaubliche 13 Jahre ist Ameli Bilyk, die in Kiew geborene Ukrainerin wusste bereits mit drei, dass sie Artistin werden möchte. Mit ihrer Mischung aus Charme, Leidenschaft und Selbstbewusstsein begeisterte sie das Publikum mit ihrer Schlappseilnummer und erntete den ersten stehenden Applaus des Abends. Die gezeigte Leistung machte sie zu einer Titelaspirantin in ihrer Altersgruppe!
Eine ganz eigenwillige Diabolo-Nummer zeigte David Eisele. Der 24-jährige Freiburger erforschte bei seiner Darbietung die Grenzen zwischen Tier und Mensch und bindet seinen gesamten Körper als Basis für die fliegenden Diabolos ein. Die von ihm gewählte zeitgenössische Musik unterstrich die urgewaltige Darstellung. Das Wiesbadener Publikum zeigte sich beeindruckt von dieser modernen Ausdrucksform einer klassischen Jonglage-Nummer.
Die Finnin Saana Leppänen ist das diesjährige „Covergirl“ des European Youth Circus. Bei ihrer Nummer am Vertikalseil verwachsen sie und das Equipment schier zu einer Einheit, gleichsam einer Spinne an ihrem Faden, mit dem sie fließend, steigend und gleitend zu experimenteller Musik die Erdanziehung zu überwinden scheint.
Mit italienischem Temperament zeigte der 17-jährige Mike Togin Junior seine flotte Lasso Nummer.
Nach der Pause präsentierte die fünfköpfige Seiltanzgruppe Tightrope Walkers Kuznetsov aus Weißrussland ihre fehlerlose Performance. Ob mit dem Einrad, Stelzen oder Rollschuhen, allein oder als menschliche Pyramide seilauf- oder seilabwärts, zeigten die zwei jungen Frauen und drei Männer höchste Schwierigkeitsgrade in ihrer Disziplin und rissen damit das Publikum erneut von den Sitzen.
Nordisch kühl präsentierte der Finne Aki Haikonen seine Jonglage Nummer mit den Ringen. Ein vielfaches an Power und Körperbeherrschung zeigte dagegen Oleksandra Sobolieva bei ihrer Clownesken Hula-Hoop Nummer, die beim Publikum viele Lacher, aber auch Bewunderung für die perfekte Darbietung hervorrief.
Jamais-Vu – noch nie gesehen, heißt das neckische Programm des Duos Olivia aus Schweden. Viel Witz und Charme bewiesen die beiden Akrobatinnen auf den Schaukeln.
Sie kommen mit Ihren Händen noch flach auf den Boden und haben dabei die Knie durchgedrückt? Prima! Alexander Mitin aus Russland auch, dabei liegt sein Knie jedoch quer über seinem Rücken. Dem 18-jährigen Kontorsionsartisten gelingt es, seinen Körper in unvorstellbare Positionen zu verbiegen, die dem einen oder anderen im Publikum einen Schmerzenslaut entfahren ließen. Noch lauter war jedoch der stürmischen Applaus am Ende der schier unglaublichen Darbietung.
Den Schlusspunkt des ersten Wettbewerbsabend setzte Pipsa Ilpala. Die Finnin überzeugte mit ihren Ball-Jonglagen, auf dem Rücken liegend, in zum Teil aberwitziger Geschwindigkeit.
Man möchte nicht in der Haut der sechsköpfigen Jury, um den Frankfurter Tigerpalast Gründer Jonny Klinke, stecken, die nach dem morgigen Abend entscheiden muss, welche der 24 Nummer mit dem ersten Preis ausgezeichnet wird.
Für alle die keine Karte bekommen haben, wird Wiesbadenaktuell auch am Freitag aus dem Chapiteau berichten. Die Vorstellungen sind nämlich leider bereits ausverkauft.
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Fotos: Daniel Becker