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25 Damen und drei Herren, davon einer aus dem Allgäu und einer aus Darmstadt, folgten der Einladung des Landfrauenvereins Nordenstadt zu einer Fahrt mit der Thermine am frühen Nachmittag. Viele von ihnen saßen zum ersten Mal in den bequem gepolsterten, luftgefederten Wagen. Die akustische Reiseleitung über die Lautsprecher bot auch alteingesessenen Wiesbadenern viel Interessantes und Neues. Zunächst fuhr die Bahn an den imposanten Gebäuden des Erbprinzenpalais, Staatstheater und Kurhaus vorbei und dann am Kurpark entlang zur Sonnenberger Straße. Von den vielen Sehenswürdigkeiten seien hier nur einige erwähnt.
In der prächtigen Villa an der Ecke zur Richard-Wagner-Straße wohnte einst Prinz Nikolaus, der Halbbruder von Herzog Adolf von Nassau. Er heiratete eine Tochter von Alexander Puschkin - einen Tag nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes. Im Volksmund wurde das Haus „Puschkin-Palast“ genannt. Viele Russen fanden den Weg nach Wiesbaden, so auch der Dichter Dostojewski und der Maler Jawlensky.
Die Thermine schlängelte sich die „Schöne Aussicht“ entlang, wo früher die Kühe der Wiesbadener grasten. Hier gibt es einen alten jüdischen Friedhof (Beisetzungen von 1747 bis 1929). Im Sommer 1883 arbeitete Brahms in einer Wiesbadener Villa in der damaligen Geisbergstraße 19 (heute Schöne Aussicht 7) seine „Wiesbadener Symphonie" aus.
Gegenüber der Henkell-Villa befindet sich in der Rosselstraße 19 die Dienstvilla des Hessischen Ministerpräsidenten, 1928 vom Münchener Architekten Ernst Haiger im englischen Landhausstil erbaut. Das Erdgeschoss dient repräsentativen Zwecken. Im Hauptraum im mittleren Bereich des Hauses finden Empfänge und Ehrungen des Landes statt. Im Obergeschoss ist eine Wohnung untergebracht, die der jeweilige Ministerpräsident privat nutzen kann, was aber seit Hans Eichel keiner mehr getan hat. Dazu trug auch eine Änderung des hessischen Ministergesetzes bei, nach dem der Ministerpräsident die Wohnung nicht mehr kostenlos nutzen kann, sondern nur gegen eine ortsübliche Miete, die aufgrund der Lage und der Größe der Wohnung von 200 m² hoch ausfallen würde.
In der ehemaligen Gaststätte in der Händelstraße soll auch Goethe gezecht haben. Weiter ging es am 1951 in Wiesbaden gegründetem Bundeskriminalamt vorbei. Heute beschäftigt das BKA circa 3.000 Mitarbeiter.
Der Sage nach entstanden Wiesbadens Täler, Hügel und Thermalquellen durch den Riesen Ekko. Er verfolgte einen Drachen aus den Taunuswäldern, doch dieser verschwand in einer unterirdischen Höhle. Darüber ärgerte sich der Riese so sehr, dass er seine Lanze voller Zorn mehrmals in den Boden stieß. Sofort kam kochendes Wasser aus dem Boden geschossen und verbrannte seine nackten Füße, das machte ihn nur wütender. Als ihn unerwartet ein kräftiger, heißer Wasserstrahl mitten ins Gesicht traf, verlor er das Gleichgewicht und stützte sich mit Arm und Hand ab. Der Abdruck seiner Finger ist bis heute noch zu sehen in den Bachtälern von Rambach, Schwarzbach, Dambach, Kesselbach, Wellritzbach und Salzbach. Und dort, wo der Riese die Lanze in den Boden stach, sprudelt seitdem das heiße Wasser in 26 Quellen aus der Erde, zwei Millionen Liter täglich.
Auf dem Neroberg legte die Thermine an der russischen Kapelle eine kurze Pause ein. Herzog Adolf von Nassau ließ sie 1847 als Grabeskirche auf orthodoxem Boden für seine junge russische Frau Elisabeth Michailowna bauen, die im Alter von 19 Jahren bei der Geburt ihrer Tochter gemeinsam mit dem Kind starb.
Die 1888 eröffnete Nerobergbahn fährt auch heute mit dem gleichen technischen Prinzip der Wasserlast. Versuchen, sie zu elektrifizieren, wurde zum Glück widerstanden. Sie ist ein technisches Kulturdenkmal und hatte in ihrer Geschichte keinen einzigen Unfall. Durch das Nerotal, vorbei am Thalhaus, ging die Fahrt über die Taunusstraße, wo es für Kunst- und Antiquitäten-Liebhaber die erstaunlichsten Dinge zu entdecken gibt. Auch die Schneiderimmobilie, das ehemalige Hotel Rose und heutige Staatskanzlei, blieben nicht unerwähnt, ebenso wenig die größte Kuckucksuhr der Welt. Auf dem Schlossplatz gleich vier wichtige Gebäude: mit der Marktkirche der höchste Bau der Stadt, daneben das 1878 vom Architekten Hauberrisser erbaute neue Rathaus (auch das in München ist von ihm), links davon das alte Rathaus, das älteste Bauwerk Wiesbadens und heutige Standesamt, gegenüber das Stadtschloss und Sitz des Hessischen Landtags.
Am Marktbrunnen mit dem goldenen hessischen Löwen wendete die Thermine und fuhr nach ungefähr einer Stunde zu ihrer Haltestelle am Marktplatz. Voller neuer Eindrücke verließen die Nordenstadter die niedliche Bahn und teilten sich auf, um nach dem kulturellen auch dem leiblichen Wohl zu frönen. Die Gruppe mit der Chronistin besuchte eine weitere Sehenswürdigkeit der Stadt, nämlich das Literaturhaus-Café in der Villa Clementine.
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Fotos: Privat