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Vor sechs Jahren bei der letzten Oberbürgermeisterwahl in der hessischen Landeshauptstadt gab es vor der Wahl große Aufregung und Dramatik. Denn die SPD hatte vergessen ihren Kandidaten, Ernst-Ewald Roth, fristgerecht beim Wahlamt zu melden. In diesem Jahr ist auch Spannung und Dramatik bei der Entscheidung des Oberbürgermeisters in Wiesbaden drin, denn nach dem ersten Wahldurchgang konnte keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen für sich verzeichnen.
Aber erst einmal der Reihe nach. Es gab vier Bewerber und eine Bewerberin für das Amt der Oberbürgermeister der Stadt Wiesbaden. Für die CDU trat der Amtsinhaber, Oberbürgermeister Dr. Helmut Müller an. Die SPD nominierte ihren Fraktionsvorsitzenden Sven Gerich. Die Grünen hatten ihre Fraktionsvorsitzende Christiane Hinninger nominiert, als Unabhängiger bewarb sich der Schauspieler Peter Silbereisen. Für die neue Gruppierung „Die Mitte“ kandidierte der Numismatiker Torsten Hornung. Der von den Piraten aufgestellte Hans-Jörg Tangermann wurde von den Vertrauensleuten seiner Partei in letzter Minute als Bewerber zurückgezogen.
Auf Grund der verpassten Anmeldung des SPD-Kandidaten lässt sich die diesjährige Wahl und auch das Ergebnis nur schwer mit der vorhergehenden vergleichen. Letztes Mal hatte die Wahlbeteiligung unter dem Fehlen des SPD-Bewerbers gelitten, so dass diesmal mit einer höheren Wahlbeteiligung zu rechnen war, auch wenn die Wahlbeteiligung bei OB-Wahlen in Großstädten generell niedrig ist und der moderate Umgang zwischen den in einer Großen Koalition verbundenen Vertretern der CDU und der SPD auch nicht gerade für eine hohe Mobilisierung sprach.
Kontroverse Themen erreichten bei dieser Wahl kaum die Aufmerksamkeitsschwelle der Bevölkerung, mit Ausnahme vielleicht des Themas Stadtbahn. Diese im Vergleich zu anderen Wahlen wie Bundes- oder Landtagswahlen niedrige Wahlbeteiligung führt zu Mobilisierungswahlkämpfen, bei denen die Bereitschaft der Parteiwählerschaft zur Stimmabgabe das ausschlaggebende Erfolgskriterium ist.
Wie sich zeigte, war die Sorge um eine geringe Wahlbeteiligung berechtigt. Sie stieg zwar gegenüber dem historischen Tief von 2007 etwas an, dennoch blieben zwei Drittel der Wiesbadener Bürger wahlabstinent.
Bei einer Beteiligungsquote von 33,6 Prozent war die Wahlbeteiligung bei dieser Direktwahl wesentlich höher als bei der Direktwahl 2007 (26,9 Prozent) und erreichte das Niveau der vorletzten Direktwahl 2003 (33,7 Prozent). Dass die „Gruppe der Nichtwähler“ bei Kommunalwahlen und auch bei der Wahl eines Stadtoberhauptes nun die absolute Mehrheit stellt, ist inzwischen die Regel.
Zu den Gründen niedriger Wahlbeteiligung gibt es verschiedene, zum Teil sich widersprechende Thesen. Eines ist jedoch klar: eine niedrige Wahlbeteiligung hat sicherlich Einfluss auf das Wahlergebnis, weil davon auszugehen ist, dass sich Bürger spezifischer demographischer Merkmale und mit spezifischen Parteineigungen stärker der Wahl entzogen haben als andere.
Und so hat Wiesbaden gewählt:
Gegenüber der letzten Wahl ist eine „Normalisierung“ der Verhältnisse eingetreten. Beim ersten Aufeinandertreffen des Amtsinhabers mit einem SPD-Kandidaten ist wie 1997 eine Stichwahl erforderlich.
Dr. Helmut Müller kann die relative Mehrheit im ersten Wahlgang trotz der Stimmanteilsverluste gegenüber dem letzten Mal als Erfolg verbuchen, insbesondere weil er Dank gestiegener Wahlbeteiligung sogar absolut mehr Stimmen als beim letzten Mal erhielt.
Sven Gerich kann mit seinen 38,4 Prozent sehr zufrieden sein, ganz im Gegensatz zu Christiane Hinninger, die mit ihren Stimmanteilswerten von 9,3 Prozent unter den für die Grünen in Großstädten inzwischen üblichen Werten lag. Es wäre allerdings unfair, sie mit Rita Thies zu vergleichen, die ohne SPD-Kandidaten doppelt so viele Stimmen (in absoluten Zahlen) holte.
Peter Silbereisen hat erheblich an Stimmanteilen eingebüßt, was auch daran liegen dürfte, dass er diesmal als unabhängiger Kandidat mit dem Monothema Bürgerbeteiligung ins Rennen ging, während er letztes Mal noch von den Linken unterstützt wurde. Torsten Hornung hat bei seinem ersten Antritt mit 3,0 Prozent einen Achtungserfolg erzielt.
Amtsinhaber und CDU-Kandidat Dr. Müller konnte insgesamt in 22 Ortsbezirken die meisten Wählerstimmen auf sich vereinen. In 13 Ortsbezirken erreichte er sogar die absolute Mehrheit. Der Kandidat der SPD, Gerich, schaffte es, in vier Ortsbezirken die meisten Wählerinnen und Wähler zu überzeugen, in Amöneburg war er mit Abstand vorn. Als hart umkämpftes Pflaster erwies sich Biebrich. Hier konnte Dr. Müller nur sehr knapp, mit lediglich 0,3 Prozent-Punkten, den Biebricher Sven Gerich auf den zweiten Platz verweisen.
Die Grünen-Kandidatin Hinninger konnte in keinem Ortsbezirk eine Mehrheit hinter sich bringen.
Direktwahlen für das Amt des Oberbürgermeisters sind Persönlichkeitswahlen. Gleichwohl wird die Wahlentscheidung nicht allein von der Person der einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten geprägt, sondern auch von deren parteipolitischem Hintergrund. Die Analyse der Wahlergebnisse in den so genannten „Hochburgen“ der Parteien kann nun Hinweise darauf liefern, ob die Wahlentscheidung eher von der Persönlichkeit des Bewerbers oder von der Bindung an die Partei beeinflusst wird. Sie gibt darüber hinaus Aufschluss, aus welcher Richtung die Bewerber besonderen Zuspruch erfahren haben. So wird deutlich, in welchem Umfang sich die jeweilige parteipolitische Anhängerschaft mobilisieren ließ und „ihren“ Kandidaten unterstützt hat.
Angesichts der Tatsache, dass weder die FDP noch die Linke Bewerber angemeldet hatten, galt den Wahlergebnissen in den FDP- beziehungsweise Linke-Hochburgen diesmal ein besonderes Interesse.
Bei Oberbürgermeisterwahlen wird die parteiliche Bindung der Wählerinnen und Wähler teilweise durch die Sympathie für die Person des einen oder anderen Bewerbers überlagert. Parteiliche Bindungen wie auch personenspezifische Vorlieben prägten das Ergebnis des Wahlsonntags. Das konservativ-liberale Lager unterstützte geschlossen die Kandidatur von Dr. Helmut Müller. Sven Gerich und Christiane Hinninger erzielten in den Hochburgen ihrer jeweiligen Partei ebenfalls bessere Ergebnisse als in den übrigen Wahlbezirken.
Allerdings hat sich am Sonntag auch deutlich gezeigt, dass Hochburgen der Parteien nicht automatisch auch Hochburgen für die Kandidaten sein müssen und dass umgekehrt Kandidaten nicht nur in den Vorranggebieten der eigenen Partei punkten können. Auffällig ist beispielsweise, dass Gerich in den Hochburgen der Grünen ein fast ebenso gutes Ergebnis erzielte wie in den Hochburgen (Rheingauviertel, Westend, und Wiesbaden-Mitte) seiner eigenen Partei.
Die Anhängerschaft der Kandidaten ist primär über das Alter strukturiert. Während Oberbürgermeister Dr. Müller vor allem ein Repräsentant der Älteren ist, scheint Gerich seinen Rückhalt primär bei den im Erwerbsleben stehenden Wählern bis 59 Jahre zu finden. Auch ist ein geschlechtsspezifisches Muster in der Anhängerschaft des SPD-Kandidaten zu erkennen. Er punktet - entsprechend der Altersstruktur seiner Anhängerschaft - verstärkt bei den Frauen. Die strukturelle Überschneidung zwischen der Anhängerschaft des SPD-Kandidaten und der von Christiane Hinninger, verspricht eine spannende und knappe Stichwahl, sofern es Sven Gerich gelingt, die Anhänger von Christiane Hinninger zur Stimmabgabe zu seinen Gunsten zu mobilisieren.
Am Sonntag, 10. März, zählt es dann und gegen 19:00 Uhr werden wir sehen ob ein neuer Oberbürgermeister im Wiesbadener Rathaus platz nimmt, oder der alte sechs weitere Jahre die Fäden ziehen wird.
Grafiken: Amt für Strategische Steuerung, Stadtforschung und Statistik