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1.000 Traktoren waren angekündigt, über 1.500 kamen und brachten 2.800 Teilnehmer, die zum Teil auch mit Bussen anreisten, in die Landeshauptstadt (hier geht es zu den beeindruckenden Bildern). Die ersten waren bereits um Mitternacht von ihren Höfen losgefahren, um gut zwölf Stunden später in Wiesbaden vor dem Landwirtschaftsministerium zu demonstrieren. Bereits gegen 8:00 Uhr, trafen am Dienstagmorgen die ersten Traktoren ein. Systematisch parkten sie zunächst die Mainzer Straße und später auch den Gustav-Streseman-Ring zu. Mit Plakaten an den Zugmaschinen, machten sie auf ihre Forderungen aufmerksam.
Hinter dem Aufruf zur Demo steht übrigens keiner der bekannten Verbände. Vielmehr haben sich die Landwirte in WhatsApp Gruppen selbst organisiert. Auf der Webseite: Land schafft Verbindung erfährt man mehr über die Ziele dieser Demonstrationen.
Reiner Paul, Erdbeer- und Kürbisbauer aus Hofheim-Wallau, hatte geplant zusammen mit Kollegen gegen 9:00 Uhr in Richtung Wiesbaden starten. Durch den großen Andrang stand jedoch zu wenig Polizeibegleitung zur Verfügung, so dass die Abfahrt erst über eine Stunde später möglich war.
Dies ging auch anderen Teilnehmern, die aus allen Himmelsrichtungen nach Wiesbaden strömten, nicht anders. Wegen den in einem schier endlosen Zug weiter in die Stadt rollenden Treckern, startet die Kundgebung mit über einer Stunde Verspätung vor dem Landwirtschaftsministerium in der Mainzer Straße, das durch Polizeikräfte abgeriegelt wurde.
Die Traktorfahrer versuchten derweil vergebens ihre Fahrzeuge abzustellen. Die "Parkplatznot" war zwischenzeitlich so groß, dass die Landmaschinen sogar in der Unterführung an der Berliner Straße abgestellt wurden und die Polizei die Bauern von der Bühne aus aufforderte, die Fahrzeuge zu entfernen.
Ansonsten zeigte sich die Polizei mit dem Verlauf der Polizei zufrieden. Die Demonstrationsteilnehmer hielten sich an die Absprache, die Busspuren frei zu halten. Durch das erhöhte Verkhersaufkommen kam es zwar auch im ÖPNV zu Verspätungen, diese hielten sich jedoch in Grenzen. Viele Pendler verzichteten auf ihr Auto und machten sich zu Fuß auf den Weg in die umliegenden Büros. Im Zusammenhang mit der Demo kam es zu mehreren kleineren Unfällen mit Blechschäden. Ein schwerer Unfall ereignete sich zwischen einem Traktor und einem Lastwagen, bei dem beide Fahrer verletzt wurden (siehe auch den verlinkten Artikel).
"Mit der heutigen Demo wollen wir Landwirte auch in Hessen ein Zeichen setzen. Sie ist die Fortsetzung der Proteste der letzten Wochen in Bonn und Berlin. Wir Bauern sind mit den zahlreichen neuen gesetzlichen Vorschriften nicht einverstanden. Weder können wir so die Qualität der von uns erzeugten Produkte sichern, noch ist so das wirtschaftliche Überleben unserer Höfe möglich", sagt Reiner Paul im Interview. "Es ist grotesk, dass wir einerseits nur nach strengsten Vorschriften produzieren dürfen, der Markt aber andererseits für Importprodukte offen ist, die sich nicht an diese Auflagen halten müssen."
In die gleiche Kerbe schlägt auch der letzte Vollerwerbslandwirt aus Wiesbaden-Biebrich Bernhard Stritter: "Alle Landwirte über einen Kamm zu scheren ist völliger Unsinn, so sind die Nitratwerte überall unterschiedlich, entsprechend muss auch unterschiedlich gedüngt werden dürfen. Düngemittel sind so teuer, dass kein Landwirt mehr nimmt als unbedingt möglich, erzählt Stritter im Interview.
Auch die Landwirte in Hessen sind durchaus keine homogene Gruppe, aber ganz gleich ob Ackerbau oder Viehzucht, Bio-Bauer oder konventioneller Anbau, sind sie darüber empört, dass sie als Sündenböcke für zahlreiche Probleme dargestellt werden. Ihr Protest richtet sich gezielt gegen die, ihrer Meinung nach, verfehlte Agrarpolitik der Regierung, die die ebenso verfehlte EU-, Agrar- und Freihandelspolitik rigeros umsetzt.
Ihr Kernwunsch ist es in politische Entscheidungen eingebunden zu werden, die immer mehr Betriebe zum Aufgeben zwingen. Dabei erfüllen sie ein wichtige Aufgabe, nämlich die Kulturlandschaft pflegen und schützen und damit auch beim Klimaschutz eine tragende Rolle spielen. Denn regionale und saisonale Produkte sind der beste Klimaschutz und sichert zugleich den Erhalt heimischer Arbeitsplätze. Geben Betriebe auf oder werden die Äcker enteignet, werden die Flächen in Folge von industrialisierten Landwirtschaftsbetrieben übernommen oder im schlimmsten Fall häufig versiegelt.
Was die Landwirte nicht wollen sind Subventionen, vielmehr erwarten sie Wertschätzung und Preise für ihre Produkte, von denen sie leben können.
Die Landwirte berichteten bei der Kundgebung, wie die ihnen die zahllosen Gesetze und Verordnungen die Ausübung ihrer Tätigkeit schwer machen. Sei es, wie sagen, mit überzogenen Auflagen zum Tier- und Landschafts-, Insekten-, Gewässer- und Klimaschutz, die stets auf ihre Kosten realisiert werden müssen, ohne dass die Preise an die Verbraucher weitergegeben werden können oder die Tatsache, dass sie über diese Auflagen hinaus auch noch an den öffentlichen Pranger gestellt werden. Laut den einstimmigen Aussagen der Landwirte macht die Regierungspolitik ein eigenständiges unternehmerisches Handeln kaum mehr möglich.
Ein weiteres Problem der Bauern ist, dass eine Wertschätzung innerhalb der Bevölkerung nicht mehr stattfindet. Ein Bauer berichtet, dass es mittlerweile soweit geht, dass seine Kinder sich in der Schule für den Beruf des Vaters rechtfertigen müssen.
Auch die Ziegen- und Schafhalter verschafften sich Gehör und forderten die vollständige Ausrottung des Wolfes, der ihre Herden und damit ihre Lebensgrundlage bedrohe.
Nach den Bauern ergriff Landwirtschaftsministerien Priska Hinz das Wort. In Ihrer Rede zeigte sie Verständnis für die Forderungen der Demonstranten: „Ich verstehe das Sie aufrütteln wollen! Die Bevölkerung und auch die Politik solenl sehen, dass die landwirtschaftliche Arbeit etwas wert ist. Nur dank Ihrer Arbeit haben wir hier diesen Lebensstandard. Sie pauschal Umweltverschmutzer und Tierquäler ist ein Unding. Sie haben ein Recht auf Dialog über die Forderungen die politisch von Ihrem Berufsstand eingefordert werden." Gleichzeitig gab sie zu, dass auch politisch in den letzten Jahren vieles schief gelaufen sei, das jetzt auf dem Rücken der Bauern ausgetragen würde.
Die neue Düngemittelerordnung nannte sie einen "echten Scheiß", machte jedoch gleichzeitg wenig Hoffnung, dass hier noch große Änderungen zu erwarten sind. Hinz kündigte an alle hessischen Bauern regelmäßig zu befragen und die Ergebnisse in einem jährlichen Monotoringbericht zu veröffentlichen. Die Begeisterung der Landwirte fiel, ob der Ankündigung der Ministerin, eher verhalten aus.
Zu den heutigen Protesten der Bäuerinnen und Bauern in Wiesbaden erklärt Heidemarie Scheuch-Paschkewitz, landwirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag:
„Höfe- und Insektensterben, Nitratbelastung und Klimaschädlichkeit der Landwirtschaft haben eine gemeinsame Ursache: Eine absurde Agrarpolitik, die auf maximale Intensivierung und Produktion für den Weltmarkt setzt. Das ist zum Schaden der Umwelt und der bäuerlichen Landwirtschaft. Die Mehrheit der Bäuerinnen und Bauern sind Opfer dieses verheerenden Systems.
Die Agrarbetriebe dürfen nicht länger vor allem die Profite internationaler Konzerne vermehren. Das Geld muss auch auf dem Hof ankommen.“
Gerhard Schenk, landwirtschaftspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Hessischen Landtag:
„Bauern müssen gesunde, hochwertige Lebensmittel erzeugen und sind nicht dazu da, eine überzogene, glaubensbasierte Klima- und Umweltpolitik umzusetzen. Den Landwirten wird das Leben schwer gemacht mit überzogenen Auflagen zum Tier- und Landschafts-, Insekten-, Gewässer- und Klimaschutz. Sie sind zu Recht erzürnt und werden über die Auflagen hinaus auch noch an den Pranger gestellt.“ Das müsse sich ändern. Schenk fordert: „Die Bauern gehören mit an den Verhandlungstisch, wenn es um das Aushandeln des Agrarpaktes geht.“
Zumindest die Fußgänger auf der Mainzer Straße nahmen die Demonstration mit großer Gelassenheit auf. Michael Schulze aus Wiesbaden zeigte Verständnis für die Bauern: "Wir brauchen doch alle Lebensmittel, in diesem Lnad darf zum Glück jeder demonstrieren, gut dass die BAuern sich auch dieses Recht nehmen. Auch Sandra Schaposwki findet den Protest in Ordnung: "Wenn am Ende gute Lebensmittel dabei heraus kommen, warum nicht?"
Ein echtes Higlight war die Demo für viele Kindergartenkinder, selten konnte man soviel Trecker aus der Nähe betrachten. Bei herrlichem Sonnenschein machte der Ausflug zur Mainzerstraße richtig Spaß.
Das die Landwirte mit ihren Dieselfahrzeugen die Kundgebung überhaupt in Wiesbaden organisieren und besuchen konnten, verdanken sie ausgrechnet einem Politiker der GRÜNEN. Dem Wiesbadener Verkehrsdezernenten Andreas Kowol war es im Februar gelungen, mit seinem Maßnahmenpaket die Deutsche Umwelthilfe davon zu überzeugen, die Belastung der Wiesbadener Luft mit Stickstoffdioxid langfristig zu senken und damit die Klage, mit der die DUH ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge in der Innenstadt erreichen wollte, vorerst vom Tisch zu bekommen.
Videos der Demo und von der Kundgebung sehen Sie in unserem Facebook Account.
Fotos: Mario Bohrmann (Lilienjournal), Daniel Becker, privat