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Im Dezember 2018 wurden die Galerien im Südflügel des Hessischen Landesmuseum für Kunst und Natur größtenteils geschlossen, um den Einzug für die größte Schenkung, die das Museum je erhalten hat, vorzubereiten. Die Sammlung des Wiesbadener Mäzens Ferdinand Wolfgang Neess bildet einen Querschnitt durch alle Gattungen des Jugendstils. Ebenfalls vertreten sind wichtige Positionen des Symbolismus. Einzigartig an der Sammlertätigkeit Neess‘ ist, dass der Wiesbadener von Beginn an die Idee des „Gesamtkunstwerks“, der Untrennbarkeit von Kunst und Leben, mit seinem Alltag verband und die Objekte fast fünf Jahrzehnte lang stets mit Blick auf die kontextuelle Geschlossenheit der Sammlung erwarb. Diesen Gedanken greift die Präsentation im Museum Wiesbaden auf und stellt die insgesamten 570 Objekte in geografischen und thematischen Konstellationen miteinander in Bezug.
Die Sammlung hat einen Wert von mindestens 41 Millionen Euro.
Die Schenkung F.W. Neess verbindet gleich drei Sammlungen des Museums Wiesbaden: Sie schließt an die Sammlung des 19. Jahrhunderts im Museum Wiesbaden an, welche die glänzende Epoche des „Weltkurbades“ Wiesbaden widerspiegelt und heute einer der Schwerpunkte der Sammlungen des Museums ist. Ebenfalls verbindet sie diese mit der bedeutenden Jawlensky- und Expressionismus-Sammlung des Hauses. Ohne die breite Strömung des Jugendstils hätten die Avantgardekünstler am Beginn des 20. Jahrhunderts in München und Murnau nicht rasch auf die flächenbezogene Kunst des japanischen Farbholzschnitts oder der oberbayerischen naiven Hinterglasmalerei reagiert: „Diesen Zusammenhang zwischen dem floralen, in der Fläche sich ausbreitenden Ornament des Jugendstils und der zur konsequenten Vereinfachung strebenden Kunst der Maler im Umfeld des Blauen Reiters im Museum Wiesbaden an zahlreichen Beispielen veranschaulichen zu können, sei“, so sagt Direktor Alexander Klar, „ein großes Glück“.
Mit der Sammlung Neess ergeben sich auch einprägsame Wechselbeziehungen zur Naturhistorischen Abteilung des Museums: Jugendstil und Symbolismus thematisieren den Kreislauf des Werdens und Vergehens aus der Kraft der Natur. Die Vielzahl floraler Motive stellt ein entscheidendes Ausdruckskriterium dieser Kunst dar.
Angela Dorn, Hessische Kunstministerin: „Ich danke Ferdinand Wolfgang Neess und seiner Frau Danielle im Namen der hessischen Landesregierung und aller künftigen, hoffentlich zahlreichen Besucherinnen und Besucher des Landesmuseums dafür, dass wir in den Genuss dieser großartigen Sammlung kommen dürfen. Ihre Eröffnung markiert einen Meilenstein in der Geschichte des Museums Wiesbaden. Es kann nun Kunst- und Kulturgeschichte von 1850 bis in die Gegenwart durchgängig in Spitzenwerken präsentieren. Besonders freut mich, dass der Jugendstil ab jetzt mit Wiesbaden einen neuen prominenten Ort auf der hessischen Landkarte bekommen hat, neben dem Landesmuseum und der Mathildenhöhe in Darmstadt und den Kuranlagen in Bad Nauheim.“
„Die Sammlung findet ihren Ausstellungsort auf der Ebene 1 des Südflügels des Museums, in den historischen Ausstellungsräumen der Nassauischen Altertümer. Damit werden die von Theodor Fischer für die Ausstellung von Objekten und Skulpturen vorgesehenen Räume wieder ihrer ursprünglichen Anmutung als Tageslichtgalerien für Objekte zugeführt. Theodor Fischers Raumfolge ist eine für die Präsentation von Objekten, Möbeln und Interieurs maßgeschneiderte Architektur, die nun wieder ihre ursprüngliche Erscheinung als Ausstellungsräume für eine kulturhistorische Sammlung erhalten hat. Ich danke allen Unterstützern, die es möglich gemacht haben, die Sammlung Neess in diesen Räumen zu zeigen, darunter in erster Linie den Stiftern, dem Land Hessen, der Hessischen Kulturstiftung und der Stadt Wiesbaden“, beschreibt Alexander Klar, Direktor des Museums Wiesbaden, die neue Ausstellung.
Der Jugendstil, ein künstlerisches Phänomen des ausgehenden 19. Jahrhunderts (circa 1890–1910), formte sich als Antwort auf die Industrialisierung und den Historismus in Europa. Angefangen mit der britischen ‘Arts and Crafts‘-Bewegung suchten Künstlerinnen und Künstler in ganz Europa und darüber hinaus nach einem Stil der Zeit mit eigenem Charakter und definierten die Erscheinungsformen alltäglicher Gegenstände neu. Mit ihrer Kunst reagierten nicht nur Vertreter der bildenden Künste, sondern aller Disziplinen auf die gesellschaftlichen Umbrüche um 1900: Hoffnungen und Ängste wurden in utopischen, mythischen oder dystopischen Motiven festgehalten. Viele von ihnen, darunter Émile Gallé oder Alphonse Mucha, fanden Inspiration in der Natur und verbanden ihre Kunst mit geschwungenen Linien oder floralen Ornamenten. Aber auch düstere, symbolistische Motive nahmen Einfluss auf die Kunst und Kultur des Fin de Siécle, etwa Franz von Stucks Die Sünde.
Der Rundgang beginnt mit historischen Filmaufnahmen der Tänzerin Loïe Fuller (1862-1928), einer Amerikanerin, die sich das kurz zuvor erfundene elektrische Licht auf der Bühne zu eigen machte, und mit ihrem Tanz auf der Pariser Weltausstellung 1900 die Kunstwelt inspirierte. Parallel dazu wird eine bedeutende Quelle für den biomorphen Formenschatz des Jugendstils im Vorraum des Saales der Formenvielfalt mit lithografischen Bildtafeln aus Ernst Haeckels (1834-1919) Kunstformen der Natur vorgestellt, zumal die Natur von Beginn an das Wörterbuch der Jugendstilkünstler bildete. Der folgende Ausstellungsraum beschäftigt sich mit der Idee des „Gesamtkunstwerks“. Eine besondere Rolle spielte dabei auch hier der Einsatz von elektrischem Licht.
Die Jugendstilkünstler schufen mit ihrem Fantasie-, und Formenreichtum eine künstlich beleuchtete Welt aus Blumenblättern und Früchten auf transparentem Glas. Die Kunst sollte insgesamt den privaten Lebensraum vollständig durchdringen, Alltagsgegenstände wurden künstlerisch überformt und das Ideal ging dabei über das bloße Wohnen inmitten der Kunst weit hinaus; erfüllte sich erst in einer existenziellen Verschränkung von Leben und Kunst. Der zweite Raum konzentriert sich auf Art Nouveau in Frankreich. In Form einer begehbaren Skulptur mit Hauscharakter vereint er die wesentlichen Strömungen der floral-symbolistischen Variante des Jugendstils. Wichtige Positionen sind Hector Guimard und Vertreter der École de Nancy, des Zentrums des Art Nouveau, mit ihren Hauptprotagonisten Émile Gallé und Louis Majorelle. Frauenbilder und Geschlechterrollen um 1900 sind Schwerpunkt zahlreicher Gemälde und Objekte.
Ein weiterer Raum ist der Weltausstellung 1900 in Paris gewidmet. Zahlreiche Objekte aus der Sammlung befanden sich in der Kunstausstellung und werden atmosphärisch von originalen Film- und Bildaufnahmen umfangen. Ferner stellt ein Ausstellungsraum die Wiener Werkstätte und die sogenannte Wiener Secession vor. Der Rundgang endet mit der deutschen Ausprägung des Jugendstils und präsentiert Künstlerpositionen zwischen München und Worpswede.
Anlässlich der Eröffnung des neuen Sammlungsbereichs erscheint der Katalog Ruf des Progressiven beim Deutschen Kunstverlag, Berlin (978-3-422-98137-9, 29,95 Euro) und das Begleitbuch Mein Jugendstil für Kinder von 6 bis 12 Jahren (978-3-89-258-126-0, 9 Euro).
Ein bilingualer Multimedia-Guide zur Sammlungspräsentation ist in der Museums-App erhältlich. Besucherinnen und Besucher können je nach Länge ihres Besuchs zwischen zwei Rundgängen sowie einer Tour für jüngere Gäste wählen.
Das Kooperationsprojekt "Jugendstiljahr Wiesbaden 2019/2020“ feiert die Eröffnung der Jugendstilschenkung über die Dauer eines Jahres. Rund um die Eröffnung im Museum Wiesbaden am 29. Juni 2019 warten zahlreiche Wiesbadener Institutionen mit einem vielfältigen und abwechslungsreichen Programm auf. Mehr Informationen unter www.jugendstiljahr.de.
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Was: Dauerausstellung Jugendstil
Wann: Dienstag bis Sonntag
Wo: Landesmuseum Wiesbaden, Friedrich-Ebert-Allee 2
Öffnungszeiten: ab 10:00 Uhr
Kosten: 6 Euro, ermäßigt 4 Euro; jeden 1. Samstag im Monat frei
Fotos: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert