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Die Spezialeinheit "Höhenrettung" (SRHT) der Feuerwehr Wiesbaden konnte in der Vergangenheit bereits viele Menschen aus misslichen Lagen befreien. Doch ein Einsatz, wie er Mitte Juli im Katastrophengebiet an der Ahr begann, war bis dahin unvorstellbar.
Die Wiesbadener Spezialeinheit SRHT wurde am Mittwoch, 14. Juli, gegen 18:30 Uhr mit dem Stichwort "Eingeschlossene Personen auf einem überschwemmten Campingplatz" angefordert. Etwa eine Stunde später traf der Hubschrauber mit zwei Höhenrettern an Bord an der Einsatzstelle ein.
Das Bild, das sich vor Ort bot, übertraf alle Befürchtungen: Die Ahr war zu einem reißenden Strom angeschwollen. Aus der Luft war zu beobachten, wie ganze Häuser vom Wasser weggerissen wurden und davon trieben. Der Campinglatz bei Ahrweiler, zu dem die Höhenretter ursprünglich alarmiert worden waren, war nicht mehr da. Viele Menschen im Ahrtal waren in ihren Häusern eingeschlossen. Es wurde sofort mit der Rettung begonnen. Durch den Einsatz der Höhenretter konnten so schon an diesem Abend viele Personen gerettet werden. Mit Sonnenuntergang musste der Einsatz abgebrochen werden, da ein Windeneinsatz in der Dunkelheit nicht möglich ist.
Am folgenden Donnerstag, 15. Juli, wurde der größte Luftrettungseinsatz der jüngsten Geschichte in Deutschland ausgelöst: Bei Sonnenaufgang standen alle verfügbaren Höhenretter der Feuerwehr Wiesbaden zur Abholung in Wiesbaden bereit. Eine zweite Winde, welche eigentlich nur der Reserve dient, wurde an einem weiteren Hubschrauber der Polizei montiert. Der dritte Hubschrauber wurde zum Personaltransport und zur Aufklärung eingesetzt. So kamen zehn Höhenretter und alle drei Hubschrauber der Polizeifliegerstaffel Egelsbach zum Einsatz.
Vor Ort wurde wieder umgehend mit der Luftrettung begonnen. Anders als sonst üblich rüsteten sich die Luftretter mit Neoprenanzügen aus, denn oft wurden Menschen direkt aus dem Wasser gerettet. Der Flugplatz bei Bad Neuenahr-Ahrweiler wurde zum Stützpunkt. Im Laufe des Tages trafen immer mehr Hubschrauber aus dem gesamten Bundesgebiet ein. Einige auch ohne Höhenretter.
So kam es, dass die Wiesbadener Spezialisten auch die SAR-Hubschrauber der Bundeswehr, Hubschrauber der bayrischen Polizei oder den Super-Puma der Bundespolizei besetzen, um möglichst viele Betroffene aus dem Gefahrenbereich retten zu können. Der Stützpunkt wurde zum Betanken der Maschinen und zum Absetzen von Verletzen angeflogen. Für einen längeren Aufenthalt am Boden war keine Zeit. Durch den Polizeihubschrauber, welcher zur Aufklärung und Erkundung eingesetzt wurde, wurden immer mehr Menschen ausgemacht, die dringend Hilfe benötigten. Die Hubschrauber wurden bis zur Belastungsgrenze mit Geretteten beladen. Anschließend wurde das nächste Fahrzeug auf sicherem Grund mit einem Blaulicht auf dem Dach ausgemacht und angeflogen. Hier wurden die geretteten ausgeladen. Direkt waren die Hubschrauber wieder in der Luft und die Menschenrettung wurde über Stunden vorgesetzt.
Allein an den ersten beiden Tagen konnten mit Hilfe der Wiesbadener Spezialisten circa 270 Menschen und mehrere Tiere gerettet werden.
Die Höhenretter wurden nahezu überall abgesetzt: auf Vordächern und Balkonen von Häusern, die in Teilen schon durch die Fluten weggerissen worden waren oder auch in Bäumen, in denen sich Menschen bereits über Stunden festgeklammert hatten. Auf Hausdächern wurden Ziegel entfernt, um die Bewohner über den Dachboden evakuieren zu können.
Das Leid, das den Rettern an diesem Tag entgegen geschlagen ist, entbehrt jeder Vorstellungskraft: Menschen berichteten, wie sie Angehörige in den Fluten verloren haben oder wie diese einfach mit Teilen ihres Hauses weggerissen worden waren. Solche Eindrücke, die an diesem Tag auf die Helfer einwirkten, werden sie wohl nie vergessen.
Am Abend des 15. Juli trafen die Höhenretter völlig entkräftet auf der Feuerwache 1 in Wiesbadener ein, wo sie von der diensthabenden Wachabteilung und den Führungskräften aus dem mittlerweile gebildeten Krisenstab empfangen wurden. Für die kommenden Tage wurde beschlossen, dass die Spezialisten der Höhenrettungsgruppe erneut in das Katastrophengebiet entsendet werden, um für weitere Notfälle bereit zu stehen. Ab Freitag, 16. Juli, standen täglich mindestens zwei Höhenretter bereit, um mit Hubschraubern für Notlagen vom Flugplatz in Bad Neuenahr-Ahrweiler zu starten.
Diese Entscheidung erwies sich als Glücksfall für den Fahrer eines Kleintransporters, welcher an der Mosel in Not geraten war. Vermutlich schätze er die Gefahr falsch ein und steckte letztendlich mit seinem Fahrzeug im Hochwasser fest. Ein Höhenretter wurde auf das Dach des Fahrzeuges abgelassen und sicherte den Fahrer. Anschließend wurden die beiden zum Hubschrauber hinaufgezogen. Am nahegelegenen Ufer konnte der Mann den bodengebundenen Rettungskräften übergeben werden.
In den folgenden Tagen war das Wasser im Ahrtal abgeflossen. Es zeigte sich, welche unglaubliche Zerstörung stattgefunden hatte. Die Wiesbadener Höhenretter unterstützten nun die Versorgung der Betroffenen, welche durch das Wegspülen von Straßen und Brücken auf dem Landweg nicht mehr oder nur schwer erreichbar waren. Es wurden Lebensmittel im Hubschrauber verladen und verteilt, sowie Erkundungsflüge durchgeführt. Auch wurden Transporthubschrauber der Bundespolizei und der Bundeswehr begleitet, um Hilfsgüter einzufliegen. Hierfür blieben die Höhenretter stellenweise vor Ort, um Landebereiche für die Hubschrauber und Absetzpunkte für Außenlasten der Maschinen zu sichern.
Durch den unermüdlichen Einsatz der Hilfskräfte von Bundeswehr, THW, Feuerwehr, aller Hilfsorganisationen und der zahlreichen freiwilligen, zivilen Helfer:innen vor Ort konnte die Versorgung der Bevölkerung über den Landweg inzwischen wieder hergestellt werden. So kann sich nach vierzehn Tagen Dauereinsatz die Höhenrettung Wiesbaden aus dem Einsatzgeschehen in Rheinland-Pfalz zurückziehen.
Der Kontakt mit den Menschen vor Ort, das Bild der Zerstörung aus der Luft und vom Boden machen nach wie vor klar, wie dringend die Menschen vor Ort Hilfe benötigen. Jeder der Wiesbadener Höhenretter hat in seinen privaten Geldbeutel gegriffen und etwas gespendet. Die Wiesbadener Höhenrettungsgruppe hofft darauf, dass dies möglichst viele Nachahmer:innen findet und ruft zur Spende für die Betroffenen, die teilweise ihre komplette Existenzgrundlage verloren haben, auf.
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Foto: Feuerwehr Wiesbaden