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Als Auftakt zu weiteren Veranstaltungen war die Fachtagung „Risiko Altersarmut – Frauen im Fokus“ gedacht, die vom Kommunalen Frauenreferat, dem Amt für Soziale Arbeit und dem Sozialpfarramt des Ev. Dekanates am Dienstag im Wiesbadener Rathaus organisiert worden war.
Altersarmut ist ein Thema nicht nur für die jetzige Rentnerinnengeneration, sondern auch für die „Babyboomer“ der Geburtsjahrgänge Anfang der 60er Jahre. Dass die gesetzliche Rente für viele Frauen bei weitem nicht zum Lebensunterhalt reichen wird, ist durch zahlreiche „Armutsfallen“ in der Erwerbsbiographie bedingt.
Die von HR-Journalistin Constanze Angermann moderierte Veranstaltung zeigte hier zahlreiche Fakten auf. Auf die Kommunen komme künftig einiges zu, so Angermann, denn sie müssten die, deren Rente nicht ausreicht, finanziell unterstützen. „Aber hier vor Ort können auch Netzwerke geknüpft werden“ – Beleg dafür, dass das in Wiesbaden funktioniert, war ein „Marktplatz“ im Rathaus, an dem sich von „Berufswege für Frauen“ über die „Beratungsstellen für selbstständiges Leben im Alter“ bis zum Seniorenbeirat, dem WIF-Internationales Frauenbegegnungszentrum und dem Netzwerk 55plus insgesamt 16 Institutionen vorstellten, bei denen es Rat, Hilfe und Kontaktmöglichkeiten gibt.
Oberbürgermeister Sven Gerich begrüßte über 100 Teilnehmer im Stadtverordneten-Sitzungssaal und bekräftigte die Absicht, das Thema „keine Eintagsfliege“ sein zu lassen. Frauenarmut sei keine „Frauensache“ sondern betreffe die ganze Gesellschaft. Professorin Barbara Riedmüller, Soziologin aus Berlin, ging in ihrem Referat auf die Lebenslaufmuster ein, die der Altersarmut zugrunde lägen. So hänge diese wesentlich mit der Kinderzahl und den damit verbundenen beruflichen Pausen zusammen. Auch die so genannten Minijobs (bis 450 Euro) seien eine Armutsfalle.
„Staatliche Regulierungen sind an der Altersarmut strukturell beteiligt“, warf die Wissenschaftlerin dem Gesetzgeber vor. Auch gute Bildungsabschlüsse führten nicht automatisch dazu, dass die erarbeitete Rente ausreiche. Es setzten viele Frauen zu lange mit der Arbeit aus oder strebten lediglich Teilzeitbeschäftigung an. Solange es noch Bemerkungen gebe wie „Auf dem Chefposten möchte ich keine Mutti haben“, müsse man auch gegen solche Hemmnisse für die Arbeitsmarktintegration von Frauen kämpfen, genau wie für bessere, lückenlosere und flexiblere Kinderbetreuung.
Wiesbadens Sozialplaner Heiner Brülle bekräftigte diese Einschätzung für die lokale Ebene. Wiesbaden gelte als reich, „ist aber eine gespaltene Stadt“. Fast die Hälfte aller Alleinerziehenden, ein Drittel aller Kinderreichen und ein Fünftel aller Kinder bis 17 Jahre bezögen Sozialleistungen. Diese Quote sei auch stark stadtteilbezogen. Das Armutsrisiko sei hier aufgrund hoher Mieten besonders hoch. Zudem sei die „Erwerbsneigung“ bei Müttern viel zu gering ausgeprägt.
Beim abschließenden Podium sagte Bürgermeister Arno Goßmann, Wiesbaden stehe im Bereich Kinderbetreuung gut da. DGB-Kreisverbandsvorsitzender Philipp Jacks betonte die Notwendigkeit, die Betreuungszeiten dem Arbeitsmarkt anzupassen, denn sonst seien Vollzeitstellen für Frauen oft schlecht auszuüben, beispielsweise im Einzelhandel. Gordon Bonnet von der IHK wies auf Unternehmen wie die R+V-Versicherung hin, die bereits sehr viele flexible Arbeitszeitmodelle anböten.
Brigitte Bertelmann von der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau berichtete von eigenen Erfahrungen: „Ich wollte Chemikerin werden. Man sagte mir damals: Dann können Sie eine eigene Familie vergessen!“ Bertelmann wurde Volkswirtin und Mutter und weiß: „Teilzeit und Karriere vertragen sich nicht.“ Gabriele Hermes-Lennich, Scheidungsanwältin, ging auf das „Armutsrisiko Scheidung“ ein und empfahl den Abschluss eines Ehevertrages. Man solle sich über das gewünschte Ehe- und Familienmodell frühzeitig klar werden.
Forderungen der Podiumsteilnehmer waren unter anderem, Familienleistung rentenrelevant zu honorieren, die Sozialversicherung den Realitäten anzupassen, das Unterhaltsrecht zu vereinfachen, Frauenerwerbstätigkeit auf allen Ebenen zu fördern.
Doch auch in den Köpfen müsse sich einiges verändern: Sowohl von Unternehmen wie auch von Familien wurde weitreichendes Umdenken gefordert.
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Foto: Privat