ANZEIGE
Das hessische Handwerk hat auf seiner Jahrespressekonferenz eine insgesamt zufriedene konjunkturelle Bilanz der letzten zwölf Monate gezogen. Angesichts des andauernden Lockdowns sind die hessischen Handwerksbetriebe mit großen Erschwernissen in das Jahr 2021 gestartet. In der Folge sorgten aber die Lockerungen der Coronamaßnahmen für eine dynamische Entwicklung, auch in den Branchen, die über Monate existenziell bedroht waren.
Dem Präsidenten des Hessischen Handwerkstages (HHT), Stefan Füll, zufolge habe sich über alle Branchen und Betriebsgrößen hinweg die Geschäftslage im vergangenen Jahr mit durchschnittlich 80 Prozent positiven Rückmeldungen wieder erholt (2020: 71 Prozent). „Das Niveau der boomenden letzten zehn Jahre konnte allerdings noch nicht wieder erreicht werden“, so Füll.
Noch immer seien durchschnittlich 20 Prozent der Betriebe in einer schlechten konjunkturellen Lage und zeitnah sei eine Erholung äußerst unwahrscheinlich. Für die Kfz-Betriebe verlief 2021 wenig zufriedenstellend. Neben den langfristigen Strukturproblemen habe diese Branche seit Ausbruch der Coronakrise mit Kaufzurückhaltung sowie geringerem Reparatur- und Wartungsbedarf zu kämpfen. Erschwerend komme hinzu, dass seit Beginn der Erholung der Konjunktur Lieferprobleme zu einem Erlahmen des Kfz-Handels führten. Die Bau- und Ausbaubetriebe sowie die gewerblichen Dienstleister hingegen seien recht gut durch die Krise gekommen und meldeten zumeist eine zufriedenstellende Situation. Füll: „Diese Branchen bekamen jedoch zunehmend die Verwerfungen in den globalen Lieferketten in Form von Engpässen und einem starken Preisanstieg zu spüren.“
Mit Blick auf die Betriebszahlen meldet der HHT zum 31. Dezember 2021 insgesamt 77.108 Handwerksbetriebe in Hessen. Dies entspricht einer Zunahme von 1.071 Betrieben oder +1,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Füll wies darauf hin, dass es bei den ehemaligen zulassungsfreien Ausbaugewerken wie Fliesenleger (-523) und Raumausstatter (-402) einen deutlichen Rückgang gebe. Hingegen habe es bei den Gebäudereinigern (+531) und Fotografen (+264) sowie bei den Bodenlegern (+280) Zuwächse gegeben. Bei der Beschäftigtenentwicklung habe es einen weiteren Rückgang gegeben. Die Probleme des Fachkräfte- und Nachwuchsmangels würden sich das zweite Jahr in Folge verschärfen. Lediglich 11 Prozent der Betriebe berichteten im Quartalsdurchschnitt von einem Personalzuwachs, bei 16 Prozent ist die Zahl der Beschäftigten gesunken und bei 73 Prozent stabil geblieben.
Der HHT-Präsident rechnet mit schwierigen Wochen für das hessische Handwerk und blickt zurückhaltend auf das Jahr 2022. Für alle Branchen gelte, dass bei einem massiven Anstieg der Erkrankungszahlen Mitarbeiter fehlen, langfristige Lieferbeziehungen weiter gestört werden und somit die Produktivität der Betriebe sinken werde.
„Wie sich die Handwerkskonjunktur entwickeln wird, ist seriös kaum vorherzusagen. Mit jeder neuen Virusvariante müssen Prognosen wieder kassiert werden. Von der Nachfrageseite her sprechen allerdings viele Faktoren für eine deutliche Belebung der Handwerkskonjunktur, wenn die Coronamaßnahmen wieder zurückgenommen werden können“, erklärt Füll.
HHT-Vizepräsident Wolfgang Kramwinkel bestätigte, dass die Auftragsbücher vieler Handwerksbetriebe prall gefüllt seien. So lag die Auftragsreichweite 2021 mit durchschnittlich 8,9 Wochen auf dem Höchststand. Bei den Bau- und Ausbaubetrieben sowie den industriellen Zulieferern erreichte die Auftragsreichweite mit durchschnittlich 15 Wochen sogar einen historischen Höchststand. Kramwinkel: „Die Ursache liegt insbesondere in dem Materialmangel. Engpässe gab und gibt es insbesondere bei Holz, Dämmstoffe, Stahl, PVC-Rohre, Aluminium, Farben und Lacken.“ Viele Handwerksunternehmen würden bereits von gestiegenen Einkaufspreisen berichten. Die Verknappung des Materials könne zudem dazu führen, dass Betriebe Termine und Kalkulationen nicht einhalten können, Aufträge ggf. sogar storniert oder gar nicht angenommen werden können. Für Kundinnen und Kunden bedeute dies, dass sie aufgrund der Materialengpässe vielfach mit längeren Wartezeiten und mit höheren Preisen rechnen müssten.
Die Sicherung des Fachkräftebedarfs ist nach Ansicht von HHT-Geschäftsführer Bernhard Mundschenk die zentrale Zukunftsaufgabe für das Handwerk. Zwar habe sich der hessische Ausbildungsmarkt etwas verbessert, von einer echten Trendumkehr könne allerdings keine Rede sein. So konnten die drei hessischen Handwerkskammern im offiziellen Erhebungszeitraum, der in den Berufsbildungsbericht der Bundesregierung einfließt, zwar ein Plus von 383 Lehrverträgen (= +4,2 Prozent) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf insgesamt 9.512 neu eingetragene Lehrverträge verzeichnen, allerdings wurde das Niveau des „Vor-Corona-Jahres 2019“ mit 10.357 neuen Lehrverträgen bei weitem noch nicht erreicht. „Den Nachwuchsmangel in vielen Handwerksberufen gab es vor Corona schon, er ist jetzt noch einmal verschärft worden“, gab Mundschenk zu bedenken. So habe der Kontakt zu potenziellen Lehrlingen gefehlt und viele Jugendliche seien angesichts der pandemischen Lage verunsichert, weshalb sie häufig den weiteren schulischen Weg (oder Universität) wählen und den Einstieg ins Berufsleben scheuten. Grundsätzlich müsse die Attraktivität des dualen Ausbildungssystems nachhaltig gestärkt werden. „Wir begrüßen es deshalb sehr, dass die (hessische) Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sich zum Ziel gesetzt hat, mit der Exzellenzinitiative „Berufliche Bildung“ deutlich mehr junge Menschen in eine Ausbildung zu bringen“, so Mundschenk abschließend.
P.S.: Sind Sie bei Facebook? Dann werden Sie Fan von Wiesbadenaktuell.de und folgen Sie uns auch auf Instagram!
Symbolbild