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Es war ein entsetzliches Szenario an diesem späten November Donnerstagnachmittag direkt vor dem Wiesbadener Hauptbahnhof. Dutzende verletzte Menschen überall Trümmerteile mitten drin Personen unter Schock und rund einhundert Helfer von Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei die entscheidende Sofortmaßnahmen durchführten und ihrer Arbeit nachgingen.
Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden hat die Ermittlungen gegen den 66-jährigen ehemaligen Busfahrer der ESWE-Verkehrsgesellschaft mbH nun - rund 13 Monate nach dem verheerenden Unfall - abgeschlossen und den Erlass eines Strafbefehls bei dem Amtsgericht Wiesbaden beantragt.
Dem Angeschuldigten wird darin folgender Sachverhalt zur Last gelegt: Am Nachmittag des 21. November 2019, gegen 16:25 Uhr, hatte der Angeschuldigte am Bussteig C der Bushaltestelle Hauptbahnhof in der Bahnhofstraße gemäß Dienstplan einen Gelenkbus der ESWE-Verkehrsgesellschaft mbH auf der Linie 27 zur Weiterfahrt von einem Kollegen übernommen. Der heute 66-Jährige hat, das haben die umfänglichen Ermittlungen ergeben, höchst wahrscheinlich vor Verlassen des Fahrzeuges zwar die Feststellbremse aktiviert, jedoch gleichzeitig die Getriebestellung “D“ (Drive) und nicht wie nach betrieblicher Dienstanweisung vorgeschrieben die neutrale Automatikstufe “N“ eingelegt.
Außerdem war der Bus bei Übergabe an den Angeschuldigten mittels der sogenannten “kneeling“-Funktion zur Bordsteinkante geneigt, um Fahrgästen den Einstieg zu erleichtern. Aufgrund dieser Seitenneigung sei es dem Angeschuldigten "zunächst nicht gelungen", zur Vorbereitung der Abfahrt die Türen zu schließen, da diese aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Bussteig aufsaßen. "Eine Abfahrt war in diesem Fahrzeugzustand, bei geöffneten Türen und aktivierter Seitenneigung aufgrund der daraufhin automatisch aktivierten Haltestellenbremse des Omnibusses nicht möglich", erklärte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden.
Anstatt der in regelmäßigen Fahrerschulungen auch von dem Angeschuldigten eingeübten Praxis soll der mittlerweile in Ruhestand befindliche Busfahrer sorgfaltswidrig darauf verzichtet haben, nunmehr seinen Fahrersitz zu verlassen und zu versuchen die Türen manuell zu schließen. Stattdessen soll er, nach Angaben der Staatsanwaltschaft, den sogenannten Notlöseschalter betätigt und damit die aufgrund der geöffneten Türen aktivierte Haltestellenbremse umgangen haben, um sodann die Feststellbremse des Busses zu lösen.
Bei dieser Gelegenheit sei der Angeschuldigte versehentlich auf das Gaspedal geraten und habe den noch immer in Automatikstellung “D“ befindlichen Bus ruckartig nach vorne beschleunigt. Überrascht durch das abrupte Anfahren des Gelenkbusses und unter Verkennung der versehentlichen Gaspedalbetätigung habe der ehemalige ESWE-Mitarbeiter das Gaspedal weiter durchgetreten in dem irrigen Glauben, er betätige dabei das danebenliegende Bremspedal.
Infolgedessen habe der Bus den teils begrünten Kreuzungsbereich Bahnhofstraße Ecke Kaiser-Friedrich-Ring auf einer 12,2 Sekunden dauernden Fahrt, auf annähernd gerader Strecke, in Richtung des Bussteigs A vor dem Wiesbadener Hauptbahnhof überquert.
Während dieser unkontrollierten Fahrt ist der Bus auf einer Strecke von 53,2 Metern unmittelbar mit insgesamt vier Autos kollidiert, die wiederum auf zwei weitere Pkw geschoben worden. Neben dem hierdurch verursachten Sachschaden hatten die Insassen der beteiligten Autos leichte bis mittlere Verletzungen, darunter Schleudertraumata, Prellungen und Schnittverletzungen erlitten.
Anschließend steuerte der Unfallbus direkt auf den Bussteig A vor dem Hauptbahnhof zu. Dort stand in diesem Moment ein Gelenkbusses der Mainzer Verkehrsbetriebe, in dessen Heck er mit hoher Wucht krachte.
Durch den Zusammenstoß wurde der hintere Teil des Mainzer Busses nach rechts geschoben, mitten den Bussteig an dem der 85-jährige Horst Bundschuh stand. Wie die Untersuchung erhaben ist der Senior der gerade auf dem Weg zum Handballtraining nach Wallau war, mit einer Geschwindigkeit von etwa 5 bis 10 km/h erfasst worden.
Der 85-Jährige ist durch den 18,5 Tonnen schweren Unfallbus gegen den Träger der Haltestellenkonstruktion gepresst worden und habe hierdurch schwerste Verletzungen erlitten.
Trotz mehrerer engagierter Ersthelfer und sehr schneller medizinischer Versorgung durch die kurz darauf eintreffenden Rettungskräfte, waren die multiplen Verletzungen von Bundschuh so schwer, das er noch am späten Abend desselben Tages in einer Wiesbadener Klinik diesen erlag.
Mehrere Fahrgäste aus dem Linienbusses des Angeschuldigten sowie Passagiere des gerammten Busses aus Mainz und eine weitere an dem Bussteig A stehende Person, wurde bei diesem schrecklichen Unfall leicht bis mittelschwer verletzt.
„Die Ermittlungen haben keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen technischer Mängel an dem von dem Angeschuldigten gesteuerten Linienbus und/oder gesundheitliche Einschränkungen des Angeschuldigten ergeben“, teilte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden am Freitag mit.
Es ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft davon auszugehen, „dass sämtliche Personen- und Sachschäden durch eine nach angemessener Reaktionszeit leistbare Bremsung des Busses durch den Angeschuldigten hätten vermieden werden können“.
Aus diesem Grunde hat die Staatsanwaltschaft Wiesbaden bei dem Amtsgericht Wiesbaden im Strafbefehlswege die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten gegen den Angeschuldigten wegen fahrlässiger Tötung sowie tateinheitlich begangener fahrlässiger Körperverletzung beantragt.
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe soll gemäß Antrag zur Bewährung ausgesetzt werden.
Weiterhin hat die Staatsanwaltschaft beantragt, dem Angeschuldigten die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach antragsgemäßem Erlass des Strafbefehls hat der Angeschuldigte hiergegen Einspruch eingelegt.
Bezüglich des Kollegen des Angeschuldigten, welcher ihm das Fahrzeug entgegen der Dienstanweisung mit aktivierter Getriebeeinstellung “D“ übergeben haben soll, wurde das Verfahren zwischenzeitlich eingestellt, da eine Vorhersehbarkeit des Weiteren, von dem Handeln des Angeschuldigten bestimmten Geschehensablaufs für den ehemals Mitbeschuldigten nicht vorlag.
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