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Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich am Freitag, 8. Mai, zum 75. Mal. Zugleich wird an diesem Datum der 71. Jahrestag der Annahme des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat begangen.
Das Hessische Staatstheater Wiesbaden nimmt dieses doppelte Gedenken zum Anlass, um mit einer künstlerischen Video- und Toninstallation diesen besonderen Tag der deutschen Geschichte zu würdigen.
Der Link zur Installation ist von Freitag, 8. Mai, um 19:00 Uhr bis Samstag, 9. Mai, um 18:59 Uhr aktiv. Der Wiesbadener Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende spricht ein Grußwort.
„Guten Abend meine sehr geehrten Damen und Herren.
Heute vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa mit der Kapitulation des Deutschen Reichs. Es endete eine Schreckensherrschaft, die Millionen Juden das Leben gekostet hat. Es endete eine faschistische Diktatur, die Menschen aus rassistischen, aus politischen, aus ideologischen Gründen verfolgt und ermordet hat. Es endeten Jahre voller Angst um das nackte Überleben."
"Diesen Jahrestag besonders würdig zu begehen, war mir ein wichtiges Anliegen. Das Vorhaben, heute im Staatstheater Benjamin Brittens „War Requiem“ aufzuführen, habe ich aus vollem Herzen unterstützt. Leider musste das Staatstheater nun vom Großen Haus in den virtuellen Raum ausweichen, aber ich bin sehr dankbar dafür, dass wenigstens in diesem Rahmen des Kriegsendes vor 75 Jahren und aller Opfer gedacht wird."
"Wir denken heute an das Kriegsende, an das Ende der faschistischen Diktatur und die Konsequenzen, die mit dem Grundgesetz daraus gezogen wurden. Manche öffentliche Debatte der vergangenen Tage gebietet, aus diesem Anlass einige Maßstäbe gerade zu rücken."
"Im Frühjahr 1945 wurde das Leben in Wiesbaden bestimmt von Ausgehzeiten, Versammlungsverboten und Beschränkungen des Bewegungsradius um den eigenen Wohnort sowie dem Verbot von Grenzübertritten. Aber erleben wir heute im Zuge der Pandemie wegen dieser äußerlichen Ähnlichkeiten tatsächlich fast kriegsähnliche Zustände?
Ich halte die Formulierung des französischen Präsidenten für falsch, der in zwei seiner Rede an die Nation zur Bekämpfung der Corona-Pandemie mehrfach sagte: „Wir sind im Krieg.“ Solch ein Vergleich ist 75 Jahre nach Kriegsende deplatziert, denn wir sind nicht im Krieg. Wir wollen gegen eine weltweit bedrohliche Krankheit kämpfen, aber wir sind nicht im Krieg!"
"Gleiches gilt für jene, die Kontaktbeschränkungen und den Lockdown als Diktatur oder Willkür bezeichnen. Die Maßnahmen sind einschneidend und tun weh. Sie werden erhebliche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Folgen haben. Aber sie wurden von demokratischen Regierungen veranlasst, sie können von unabhängigen Gerichten überprüft werden und jede und jeder kann sie öffentlich diskutieren und kritisieren. Und das geschieht ja auch reichlich."
"Das Erbe des 8. Mai 1945 mündet in den Artikel 1 unseres Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Und nach Rassenwahn und Euthanasie verbietet es sich, Menschen das Lebensrecht abzusprechen, weil sie alt sind, Vorerkrankungen haben, ohnehin bald sterben müssten oder gar zum wirtschaftlichen Nutzen nichts mehr beitragen. Wer die Bilder aus Bergamo oder die Massengräber von New York sieht, weiß, was wir in Deutschland verhindern konnten."
"Verzeihen Sie diese kurzen aktuellen Bezüge, aber an solchen Gedenktagen gilt es durchaus, die Basis unseres Gemeinwesens in Erinnerung zu rufen. Und wir erinnern ja heute auch an die Geburtsstunde unseres Grundgesetzes. Und es gab seit 1949 wohl noch keinen anderen Fall, in dem politische Verantwortliche so herausgefordert waren, Grundrechte abzuwägen und die Verhältnismäßigkeit der Entscheidungen zu prüfen."
"Wir gedenken heute am 8. Mai vor allem der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und dem Ende eines Krieges, bei dem 60 Millionen Menschen starben."
"Allein bei uns in Hessen sind nach Angaben des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge 70.000 Menschen begraben: Opfer von Bombenangriffen, Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, deutsche und ausländische Soldaten, Flüchtlinge oder Opfer des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms. Bis heute sind die Folgen sichtbar: So entschärften noch im letzten Jahr hessenweit Experten des Kampfmittelräumdienstes laut dem Regierungspräsidium Darmstadt 130 Tonnen Munition."
"In Wiesbaden war der Krieg bereits mit dem Einmarsch amerikanischer Truppen am 28. März 1945 beendet. Auf dem Hochbunker neben dem Landesmuseum wurde an diesem Tag die weiße Fahne gehisst. Heute lagern in den Bunkern in unserer Stadt friedlich circa 75.000 Filmbüchsen, darunter Klassiker wie „Metropolis“, deutsche Filme aus den 30er und 40er Jahren und Stummfilme als kulturelles Erbe aus dieser Zeit."
"In einem der berühmtesten Antikriegsfilme „Im Westen nichts Neues“ heißt es: „Krieg ist Krieg, damit muss man sich abfinden.“ Die Verfasser unseres Grundgesetzes wollten sich damit keineswegs abfinden, und verpflichteten sich bereits in dessen Präambel am 23. Mai 1949, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Das macht uns Hoffnung, aber ist keine leichte Aufgabe: Wie schafft man ein friedliches Zusammenleben der Menschen und Gesellschaften? Wie vermeidet man Kriege und existenzielle Not? Haben wir nach Kriegsende aus unseren Fehlern gelernt? Es bleiben Zweifel angesichts des wieder zunehmenden Antisemitismus."
"Wir hören gleich das „War Requiem“ des englischen Komponisten Benjamin Britten, das er anlässlich der am 14. November 1940 zerstörten Kathedrale von Coventry schrieb. Die Ruine dieser St. Michael’s Kathedrale ist noch heute - ähnlich der Kaiser-Wilhelm- Gedächtniskirche in Berlin - ein Mahnmal. Diese Angriffe auf Coventry unter dem zynischen Namen „Operation Mondscheinsonate“ forderten 500 Tote. Dieser Menschen und allen anderen Kriegsopfern wollen wir hiermit gedenken."
"Mein Gruß gilt heute auch allen Wiesbadener Partnerstädten. Viele dieser Städte hatten große Opfer in diesem von Deutschland entfesselten Krieg zu beklagen. Danke, dass sie heute unsere Freunde sind und gemeinsam für Völkerverständigung und Frieden eintreten."
"Ursprünglich wollten wir uns heute live im Rahmen unserer Maifestspiele treffen, anstatt als Aufzeichnung und ohne Publikum hier im Staatstheater zu stehen, wie ich es gerade tue. Wir wollten der Opfer gedenken, aber auch dankbar sein, dass wir in Freiheit und Frieden hier leben können: heute, am 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag der Befreiung."
"Uns allen fehlt das Theater und deshalb an dieser Stelle ein Gruß an alle Theatermenschen: Wir kommen wieder, sobald es möglich ist. Dank des Improvisationstalents und Geschicks aller Beteiligten ist es möglich geworden, dass Sie heute an Ihren Bildschirmen, Computern oder Telefonen zu Hause, oder wo auch immer Sie gerade sind, online teilnehmen können an diesem besonderen Tag."
"Deshalb möchte ich mich herzlich bei Uwe-Eric Laufenberg, dem Intendanten des Hessischen Staatstheaters, und seinem Team bedanken, der die für heute geplante Veranstaltung mit viel Kreativität und Einsatz zu einem „Gesamtkunstwerk“ zusammengestellt hat und es somit vielen Menschen ermöglicht, sich mit dem 8. Mai auseinanderzusetzen.
Und wer weiß, vielleicht erreichen wir über diesen Weg sogar mehr Menschen, die sich online dazu gesellen, als dieser Ort sonst hätte fassen können!"
"Ich wünsche uns allen, dass wir uns bald wieder persönlich im Staatstheater begegnen können, die Freiheit genießen werden, uns durch unsere Stadt zu bewegen. Bleiben Sie gesund.“
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Was: Online Event
Wo: Link zur Installation
Beginn: Freitag, 8. Mai, um 19:00 Uhr
Ende: Samstag, 9. Mai, um 18:59 Uhr