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Seit zwei Wochen sind Anna und Oleksii Tregub beim TV Wallau in der Tischtennisabteilung aktiv. Sie hatten schon in der Ukraine gerne Tischtennis gespielt, dort muss ihre Tischtennisplatte nun aber als Schutz für das Haus herhalten, während die Kinder mit ihrer Mutter nach Deutschland flüchteten und in Wallau unterkamen.
Anna ist 14, Oleksii 17, ihre Mutter Olena kam vor 19 Jahren als Aupair nach Wallau. Am ersten Tag des Kriegs floh die Familie aus Horenka, fünf Kilometer entfernt von Butscha, dass in den Nachrichten der letzten Tage eine große Rolle spielte. Zunächst ging es für die Familie in Richtung Lviv, der Vater blieb dort, die Kinder kamen mit der Mutter über Polen nach Deutschland, dann nach Wallau. Mit dem Auto, dem Bus, zweimal mit dem Zug, so berichten die beiden. In Frankfurt (Oder) wurde es schrecklich, anfangs war der Zug leer, auf einmal wollten ganz viele in den Zug, Ukrainer und andere.
In Wallau musste sich die Familie dann erst einmal Einleben, einen geregelten Alltag finden. Oleksii, ausgesprochen Alex, geht mittlerweile in die Schule, Anna muss noch warten. Es sind wohl derzeit sehr viele Kinder, die einen Schulplatz suchen. In vier Wochen soll es hoffentlich soweit sein. Online haben sie Schulunterricht ihrer Kiewer Schule, sehen ihre Freunde und Mitschüler, die nun in Tschechien, Rumänien oder eben auch in Deutschland sind.
Anna und Oleksii sind musikalische Kinder, Anna will Dirigentin werden, beide spielen einige Instrumente, Cello, Kontrabass. Ihre Gastgeber sind ebenfalls musikalisch, so können sie weiter üben. Oleksii berichtet von Butscha. Butscha sei eine Musikstadt, 5km weit weg von zuhause, da wären sie immer hingefahren. Das sei so ein bisschen wie Wiesbaden.
Und sie spielen eben gerne Tischtennis, daher gehen sie zum TV Wallau, trainieren dort dreimal in der Woche mit. Beim letzten Training vor den Osterferien wird Rundlauf am Großtisch gespielt. Vier Tische werden aneinander geschoben, Banden als Netz genutzt und los geht es. Anna und Oleksii sind mitten drin. Zwischendurch muss mal kurz geklärt werden, ob man ausgeschieden ist oder doch noch dabei ist. Die Regeln sind aber schnell klar und so haben alle ihren Spaß. Die anderen Kinder berichten, dass die beiden Neuen nett sind, Verständigungsprobleme gibt es keine, das Schulenglisch reicht.
Anna erzählt, dass ihr Vater in Lviv geblieben ist und jetzt nach Horenka zurückkehren wird, da die Russen wohl weg sind. Oleksii zögert, sagt, dass sie ja nicht so wirklich weg sind. Der Vater will nach dem Haus schauen, nach den Hunden, die sie zuhause hatten. Ein Nachbar ist wohl schon zurückgekehrt, hat sich um die Hunde gekümmert. Anna hatte auch eine Ratte, die mussten sie aber freilassen, sonst wäre sie verhungert.
Dann berichten die beiden über ihre Geburtstage. Oleksii wurde am 18. Februar 17 Jahre alt. Er hat ein Taj Mahal aus Lego bekommen und zeigt ein Foto davon, beide bauen sehr gerne mit Lego. Sein Geburtstag war eigentlich noch ganz normal. Einen Tag vorher hat ihre Mutter Zugtickets gekauft, damit sie fliehen können, falls der Krieg kommt. Dann hat sie sie wieder verkauft, der Krieg schien so weit weg zu sein. Am 24. Februar hatte Anna Geburtstag, sie hatte Pläne gemacht, Freundinnen eingeladen, mit ihr eine Rollschuhparty zu machen. Dann kam der Krieg. Auch sie hat Lego bekommen, hatte einen Kuchen, aber eben auch die Nachrichten ihrer Freundinnen, dass man nicht feiern kann. Stattdessen ging es in die Karpaten in die Nähe der polnischen Grenze. Oleksii sagt, da gab es nichts, nur Tiere, nur Schweine.
Immer wieder überlegen beide, was sie noch erzählen können, sie sind offen, erzählen einfach. Oleksii amüsiert sich über deutsche Wörter. Er erzählt von einem Kinderbuch, dass sie lesen, um Deutsch zu lernen. Immer wieder wiederholt er: "Schlangenpüree" und wundert sich. "Schlang", das braucht man doch im Garten um die Pflanzen zu gießen. Naja, ein Gartenschlauch sieht ja auch aus wie eine Schlange.
Zum Wallauer Spendenlauf wollen die beiden auch kommen, immerhin hat doch die Mutter mal in Wallau beim Volkslauf den 2. Platz gemacht. Oleksii meint, er macht lieber nicht mit, beim Tischtennisrundlauf ist er schon schnell außer Atem.
Über den Krieg erzählen sie auch und werden schnell nachdenklich. Weil ihnen keiner sagen kann, wie lange sie in Wallau sind und wo sie in Zukunft sein werden. Aber sie wollen weiterhin viel lernen, "denn das ist die Zukunft", sagt Oleksii.
Und in dieser Zukunft möchte er gerne mit Photoshop arbeiten. In Kiew hat er die Plakate einer Pianistin erstellt, sowas möchte er gerne mal beruflich machen. Und Fotografieren mag er oder mit dem Teleskop das Weltall betrachten. Anna ergänzt, dass sie gerne kocht und ihre Hunde vermisst. Und beide mögen Marzipan, das gibt es in ihrer Heimat nicht und ist viel besser als Schokolade.
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Foto: TV Wallau