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Die zahlreichen Zuschauer der öffentlichen Sitzung des Revisionsausschusses erlebten gestern ein weiteres, trauriges Kapitel in der Tragikomödie des Wiesbadener Dilettanten-Stadels, besser bekannt als Rathaus - aber der Reihe nach.
Die Wiesbadener Politiker sehen sich seit dem Sommer 2018 mit diversen Veröffentlichungen der lokalen Printmedien konfrontiert, die darauf hinweisen, dass es in Teilen der städtischen Gesellschaften durch die Verknüpfung privater und geschäftlicher Interessen zu Unregelmäßigkeiten oder gar Verstößen durch den langjährigen Geschäftsführers Ralph Schüler gekommen sei. Parallel werden dem amtierenden Oberbürgermeister Verfehlungen bei der Abrechnung von Reisekosten sowie eine unrechtmäßige Intervention bei die Vergabe der Cateringverträge für das Wiesbadener Kurhaus sowie das RMCC angelastet, die unter anderem durch die Annahme von geldwerten Vorteilen bei Essen und Reisen entstanden sein sollen.
Wie beim sogenannten Schmetterlingseffekt, der in der Wissenschaft die "Sensitivität gegenüber einer Änderung der Anfangsbedingungen" beschreibt, rückt der auslösende Moment (ein Streit über eine Zahlung zwischen Ralph Schüler und einer ehemaligen Mitarbeiterin, die sich daraufhin an die Print-Presse gewandt hatte), in weite Ferne, während immer mehr politische Akteure in der Landeshauptstadt in den Strudel der Veröffentlichungen und damit der Verdächtigungen und Anschuldigungen geraten.
Licht in einen Teil dieses Dunkels zu bringen war das Ansinnen der CDU mit dem Antrag auf Einberufung einer Sondersitzung des Revisionsausschusses. Ein weiterer Punkt der Tagesordnung betraf Fragen zur aktuellen Situation im Revisionsamt. In einer 55-minütigen, teilweise hitzig geführten, Diskussion, in der Oberbürgermeister Gerich und Vertreter des Wiesbadener Rechtsamtes darlegten, dass dieses Thema – wie alle Personalangelegenheiten – nicht öffentlich behandelt werden dürfe, einigte man sich darauf, diesen Punkt wegen des möglichen Ausschlusses der Öffentlichkeit als letztes zu behandeln. Warum dieser Einwand seitens des Rechtsamtes und Gerich nicht schon beim Versand der Einladung erfolgte, blieb offen.
Darüber hinaus zweifelte Oberbürgermeister Gerich das Recht Löbers an, überhaupt anwesend zu sein. Geschickt nutzte Volker Löber die Diskussion, um darzulegen, dass durch diese Regelung der Entscheidung Vorschub geleistet werden könne, unliebsame Revisionsbeamte so „aus der Welt zu schaffen“.
Löber äußerte darüber hinaus die Hoffnung, durch seine öffentliche Aussage die Behauptung von OB Gerich, unter anderem in den Sozialen Medien, er Löber, hätte mit der Prüfung zur Vergabe des Catering RMCC und Kurhausgastronomie nichts zu tun gehabt, entkräften zu können. Auch sei es geradezu lächerlich, den Anstoß zu einer solchen Prüfung als Willkür darzulegen, da dies klar gesetzlich geregelt sei und er zu keinem Zeitpunkt undokumentiert und auf eigene Faust geprüft habe. Um weitere Aussagen Löbers, zum Beispiel über die Zugriffe auf sein E-Mail-Postfach durch eine Mitarbeiterin von Oberbürgermeister Gerich, die zeitweilig dreimal täglich erfolgten zu unterbinden, erteilte ihm der Oberbürgermeister im weiteren Sitzungsverlauf - rechtmäßig - Redeverbot.
Um eine solche Machtdemonstration zu verhindern, sagte Christiane Hinninger, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen bereits vor den Weihnachtsferien: „Wir GRÜNE erwarten auch, dass der Oberbürgermeister seine Zuständigkeit für das Revisionsamt und die Antikorruptionsbeauftragte bis zur Aufklärung der „Kuffler-Affäre“ ruhen lässt."
Dies war einer der wenigen Momente, in denen Gerich nicht souverän wirkte, denn seine Hausaufgaben hatte er gemacht. Ohne zu stocken oder Versprecher, las er sein Statement zu den Fragen der CDU vor. An Stellen, an denen er die Antwort schuldig blieb, berief er sich auf sein Recht auf Privatsphäre und Erinnerungslücken. Die Frage, warum er zur Beantwortung der Fragen nicht das Rechtsamt, sondern eine externe Kanzlei zu Rate gezogen habe, beantwortete er damit, dass Bürgermeister Dr. Franz ihm dies empfohlen habe. Das halbe Jahr zwischen der Übermittlung der Fragen und deren Beantwortung hat Gerich offensichtlich für ein Coaching genutzt, um möglichst überzeugend zu performen.
Als Konsequenz aus den Vorwürfen entschuldigte er sich, verwies auf seine Unerfahrenheit zu Amtsbeginn und verkündete, dass interne Arbeitsprozesse im Bürgermeisterbüro so angepasst wurden, dass derartige Vorfälle jetzt quasi ausgeschlossen seien. Einen Vorsatz schloss er zu allen bestehenden Vorwürfen aus.
Offen blieb die Frage, warum sein digitaler Kalender sich bis vor kurzem alle drei Monate vollständig löschte, sodass ein Nachvollzug von Terminen nicht möglich war. Man sei jetzt daran, die Daten wiederherzustellen. Wie lange das dauere könne er nicht sagen.
Die Mitglieder des Revisionsausschuss zeigten sich darüber äußerst erstaunt, zumal man schon für die Steuererklärung einen Datenrückblick von mindestens einem Jahr benötige. Warum die kurze Verfügbarkeit erst im Zusammenhang mit den Anfragen auffiel, blieb ebenfalls seitens Gerich unbeantwortet.
In diesem Zusammenhang fiel das Augenmerk der Ausschussmitglieder besonders auf einen Termin zwischen Gerich/Kuffler/Wossidlo im Kuffler Restauarant am Frankfurter Flughafen. Wie Gerich eingestand, hatte dies noch vor dem Zuschlag zur Konzessionsvergabe der Gastronomie RMCC an Kuffler stattgefunden. Gerich begründete das Treffen mit seinem ausgeprägten Interesse an Gastroküchen, die er auch bei diesem Termin besucht hätte.
Dass das Treffen noch vor dem Zuschlag zur Konzessionsvergabe der Gastronomie RMCC an Kuffler stattgefunden hatte, fand Gerich nicht irritierend, da es zu keinen Gesprächen über dieses Thema gekommen sei.
Bei der Vergabe des RMCC an Kuffler kritisiert übrigens der der Redaktion vorliegende Sachstandsbericht des Revisionsamts:
Nicht minder brisant sind die Kritikpunkte bei der „Vergabe Kurhausgastronomie“. So wurde bei der Verlängerung des Vertrages darauf verzichtet, eine „Anpassung der jährlichen Miete“ vorzunehmen. Die Miete liegt in einer Höhe von 4,3 Prozent des Betriebsumsatzes. „Angemessen ist laut der Recherche der CDU eine Miete von etwa acht bis zwölf Prozent“, kritisiert der Bericht. Er geht davon aus, dass der Landeshauptstadt bei einer Vertragslaufzeit von 15 Jahren ein Schaden von einer Million Euro im Jahr entsteht.
Darauf angesprochen argumentierte Gerich, dass er nicht aktiv an der Vergabe beteiligt gewesen sei, die federführend vom damaligen Wirtschaftsdezernenten Detlef Bendel durchgeführt wurde. „Meine Unterschrift unter dem Vertrag erfolgt, blickt man in die Historie der Stadt, aus langjähriger Tradition, erläuterte Gerich.
Auch beharrte der OB darauf, weiterhin seine privaten Freundschaften zu pflegen, da sie oftmals schon aus Zeiten vor seiner Wahl stammten. So besteht laut seiner Aussage eine langjährige Verbindung mit dem Geschäftsführer der SEG, Roland Stöcklin und dessen Familie, für deren Kind – wie hinlänglich bekannt sei - er auch die Patenschaft übernommen habe.
Wenig amüsiert zeiget sich der FDP Fraktionsvorsitzende Christian Diers darüber, dass manche Fragen der Ausschussmitglieder humoristisch vorgetragen wurden. Er mahnte den Ernst der Lage an und gab zu bedenken, dass Gerich bei seiner Wahl zum Oberbürgermeister schon auf eine beachtlich lange Karriere in der Wiesbadener Politik hätte zurückblicken können. Die von ihm vorgetragene Unerfahrenheit nehme er dem OB in diesem Zusammenhang nicht ab.
Der Vorsitzende des Revisionsausschusses, Robert Lambrou von der AfD, forderte eine deutliche und kompromisslose politische Hygiene für Wiesbaden. Eine Stadt, in der - seiner Meinung nach - in der Vergangenheit Posten in städtischen Gesellschaften nach Parteibuch vergeben wurden und mehr der Vorsorge einzelner Personen dienten, als zur bestmöglichen Bewirtschaftung oder – mit Blick auf die Aufsichtsräte – der Kontrolle. Das System sei von der CDU eingeführt und der SPD fortgeführt worden.
Wie unzufrieden die Grünen mit dem gestrigen Ergebnis der Befragung waren, lässt sich der Pressemitteilungen entnehmen. So äußert sich Felix Kisseler, revisionspolitischer Sprecher der Wiesbadener Grünen: „Die gestrige Ausschusssitzung des Revisionsausschusses wirft letztlich mehr Fragen auf, als sie beantwortet hat. Die üppigen und detaillierten Fragenkataloge blieben in weiten Teilen unbeantwortet.“ Enttäuscht zeigte er sich über die Nichtbefragung von Volker Löber. Kisselers Meinung nach passe "die Nichtbehandlung des TOPs im Ausschuss haargenau zu den seltsamen Vorgängen rund um diese Personalie.“
Verwundert reagiert auch Jörg Sobek, Mitglied im Revisionsausschuss für die LINKE&PIRATEN, da bereits in einer früheren Sitzung der Ausschuss öffentlich über „Revisionsamtsleitung - Klärung der langen Vakanz und Neubesetzung der Stelle" beraten hätte. Allerdings war es laut dem Ausschussvorsitzenden Robert Lambrou in seiner Amtszeit das erste Mal, dass Bürger dieses Recht wahrgenommen hätte.
Obwohl eine Abstimmung ergab, dass der Tagesordnungspunkt Löber öffentlich behandelt werden sollte, lehnte der OB die Diskussion darüber ab und zog sich auf geltendes Recht zurück. Er bot an, den Sachverhalt vom Rechtsamt erneut überprüfen zu lassen und drohte bei einem anderen Vorgehen des Ausschusses damit, die Sitzung zu verlassen.
Der Revisionsausschuss tagt erneut in 14 Tagen. Bis dahin soll Rechtssicherheit darüber herrschen, ob die Öffentlichkeit und Volker Löber bei der Behandlung des Tagesordnungspunktes zur Situation im Revisionsamt anwesend sein dürfen.
Ob Gerich dann mehr zur Aufklärung beiträgt, wird sich dann zeigen. Eine endgültige Bewertung der Vorgehensweises bleibt dem Gericht überlassen, wenn eine offizielle Anklage gegen ihn erhoben werden sollte.
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Fotos: Petra Schumann