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Es floss viel Blut über die Leinwand der Caligari FilmBühne. Vier spannende, aufregende und dramatische Tage erlebte das 9. FernsehKrimi-Festival in Wiesbaden. Mit einem tollen Galaabend, moderiert von Tagesthemenmann Ingo Zamperoni, ging am Samstag die Veranstaltung zu Ende.
Zugegeben: Nicht jeder TV-Krimi ist Grimme-Preis-verdächtig. Dazu werden schlicht zu viele Kriminalfilme produziert. Nimmt man jedoch – wie beim FernsehKrimi-Festival Wiesbaden – die Besten eines Jahrgangs in den Fokus, wird klar, zu welcher Qualität das Genre fähig ist. Zudem wird viel Sorgfalt darauf verwendet, den optimalen Rahmen für die Filme zu schaffen. Die zehn Wettbewerbsbeiträge sind eingebettet in Gespräche mit den Machern und werden auf der großen Leinwand präsentiert. Denn dieses Festival schaut sehr genau hin. Es sucht nach Mustern und spürt neue Tendenzen auf.
Das Wiesbadener Publikum weiß es zu schätzen, was die Caligari FilmBühne zuverlässig an ihre Kapazitätsgrenzen bringt. Auch für die künstlerischen Produktionsteams sind die vier Tage im Frühjahr professionelles Muss und persönliche Bereicherung zugleich. Hier besteht die seltene Chance, die direkte Reaktion der Zuschauer auf ihre Filme zu erleben und über den eigenen Tellerrand zu blicken. Hier wird nach jeder Vorstellung analysiert, nachgefragt und diskutiert. Und nicht zuletzt schärft der Direktvergleich mit den neun anderen nominierten Produktionen die eigene künstlerische Positionsbestimmung.
Das Begleitprogramm arbeitete ebenfalls an der Aufklärung der Hintergründe: Mit großer Fachkompetenz ging es hier um den Einfluss der ästhetisch und erzählerisch innovativen internationalen TV-Serien auf Sehgewohnheiten, Rezeption und Dramaturgie des deutschen Kriminalfilms. Das Erfolgsrezept des Wiesbadener Festivals hat einmal mehr Wirkung gezeigt. Rund 4.700 Zuschauer zählten die Veranstalter dieses Mal – inklusive zahlreicher Branchenbesucher und Schauspielstars wie Anja Kling, Miroslav Nemec, Udo Wachtveitl, Ulrike Krumbiegel oder Caroline Peters.
Rose-Lore Scholz, Kulturdezernentin der Landeshauptstadt Wiesbaden, zieht daher ein sehr positives Resümee des Festivals 2013: „Der Verlauf und die Resonanz des diesjährigen FernsehKrimi-Festivals haben unterstrichen, dass diese Veranstaltung für die Filmstadt Wiesbaden von außerordentlicher Bedeutung ist. Zahlreiche Akteure der Filmbranche kamen zum Wettbewerb, der Gala und dem Begleitprogramm. Die Kooperation zwischen der Stadt Wiesbaden, der Murnau-Stiftung, der Hessischen Filmförderung und den Sendeanstalten konnte weiter ausgebaut werden. Insofern ist dieses Festival ein wichtiger Beitrag für die Vernetzung der örtlichen Filmbranche und ein Meilenstein für die Entwicklung der Filmstadt Wiesbaden.“
Vier intensive Tage und eine schwierige Entscheidung liegen hinter der Experten-Jury, die den Auftrag hatte, die Preisträger des Deutschen FernsehKrimi-Preises 2013 zu identifizieren. Der Aufgabe stellten sich Gaby Goebel-Andreas vom Hessischen Landeskriminalamt, der Regisseur Andreas Kleinert (Schimanski, Polizeiruf 110), die Schauspielerin Leslie Malton, die vielfach ausgezeichneten Krimi-Autorin Andrea Maria Schenkel sowie Ernst Szebedits von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden.
Gewinner des Deutschen FernsehKrimi-Preises 2013 ist die WDR-Produktion Mord in Eberswalde. Das Produktionsteam kann sich neben der Ehre über eine ganz besondere Preis-Gabe freuen: 1.000 Liter erlesenen Rheingauer Wein.
Ein Film, der hinter Mauern spielt, aber grenzenlos frei ist – frei von jeglichen Konventionen der Darstellung. Das Leben in der DDR der frühen 70-er Jahre erscheint so selbstverständlich und absolut stimmig, wie man es selten im deutschen Fernsehen erlebt hat. Es ist die Präzision, Menschlichkeit und innere Haltung von Regisseur Stephan Wagner und Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt, die den Unterschied macht – zusammen mit dem Kameramann Thomas Benesch, der mit seiner außergewöhnlichen Farbgestaltung und starken Bildern den Film aus dem Fernsehformat ins Kino transportiert. Ebenso makellos wie die Atmosphäre und Ausstattung ist die universale Geschichte: gesellschaftspolitisch und psychologisch relevant weit über das Genre Krimi und die real existierende DDR hinaus, ohne einen Hauch von Pädagogik und lange nachwirkend. Glaubhaft besetzt bis in die kleinsten Rollen, ragen in diesem Film doch zwei Schauspieler heraus: Ronald Zehrfeld und Florian Panzner, Volkspolizist und Stasi-Major, alte Freunde und eingespieltes Ermittler-Tandem, die zu immer verbisseneren Gegenspielern werden. Unser bester Film, der uns – gleichgültig in welcher Kategorie – absolut überzeugt hat, begründet die Jury ihre Entscheidung.
Mit dem Publikumspreis 2013 wurde der Regisseur Martin Enlen für Bella Block – Unter den Linden ausgezeichnet. „Wir haben nun zehn Filme gesehen, waren uns nicht immer einig, aber dieser Film war sofort unser gemeinsamer Favorit“, erklärt ein Jury-Mitglied. Die Beschreibung im Programmheft könnte es nicht besser wiedergeben: Es geht um die Menschen, die Alten, die Übriggebliebenen, die Vergessen, die Einsamen und Armen. Wir alle wissen: Armut und Einsamkeit im Alter sind aktuelle gesellschaftliche Themen von hoher Brisanz und genau das spiegelt sich in dem Film wieder.
Die Hauptfigur ist in all der sie umgebenden Düsternis ein echter Lichtblick, es gibt immer wieder Situationen, die uns Zuschauer auf eine amüsante Art und Weise aufatmen lassen. Der Film ist ausgesprochen rund – es passt alles zusammen. Die Kameraarbeit, die Motive, die Geschichte und nicht zuletzt die herausragenden Darsteller, die bis in die Nebenrollen wunderbar besetzt sind. Gefallen hat uns auch der realistische, unverkitschte Blick auf die Einwohner Berlins und ihre ganz eigene Mentalität. Ein Film, der berührt, beschreibt die Jury den Krimi von Enlen.
Den Sonderpreis für die Beste Regie erhält Isabel Kleefeld mit der WDR-Produktion „Im Netz“. Zunächst hört sich die Ausgangslage des Thrillers eher harmlos an – Identitätsdiebstahl im Netz. Kein Blut, keine Leiche, keine Gewalt. Dass der virtuelle Diebstahl jedoch im wahrsten Sinne des Wortes ein Leben raubt und zum psychologischen Mord wird, das macht die Regisseurin Isabel Kleefeld nicht nur absolut plausibel. Der Film „Im Netz“ baut ein atemberaubendes, umfassendes Spannungsfeld auf, das den Zuschauer durchgängig in seinen Bann schlägt. Der in jeder Hinsicht überzeugenden Caroline Peters als erfolgreicher Unternehmensberaterin wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Sie beginnt allem und jedem zu misstrauen. Unwiederbringlich verloren ist ihr quasi-naives Vertrauen in die Welt und einen funktionierenden Alltag. Ein temporeicher Thriller, der auch deshalb lange nachklingt, weil er dazu angetan ist, unser alle Gewissheiten zu erschüttern. Ein topaktuelles Thema, fulminant umgesetzt, begründet die Jury und vergibt den Sonderpreis für eine herausragende Leistung an Isabel Kleefeld für die Beste Regie.
„Der tiefe Schlaf“ erhält den Sonderpreis für das Beste Drehbuch. In seinem dritten Münchner Tatort „Der tiefe Schlaf“ konfrontiert Autor und Regisseur Alexander Adolph das altgediente Ermittler-Duo mit einem übereifrigen jungen Kollegen aus Norddeutschland, der die grantigen alten Hasen in ihrer Routine stört. Eine nicht ungewöhnliche Konstellation, der Adolph freilich gänzlich neue und emotional sehr berührende Facetten abgewinnt. Seine wunderbar geschlossene Geschichte mit einem außerordentlich überraschenden, innovativen Schluss setzt auf präzise konturierte Persönlichkeiten, statt die üblichen Spielchen zur Spannungssteigerung zu bemühen. Wie Fabian Hinrichs als Gisbert Engelhardt auf tragische Weise zu spät die Sympathie und den Respekt seiner Kollegen – und mit Sicherheit auch der Zuschauer– erringt, geht unter die Haut. Eine grandiose schauspielerische Leistung, auf der inspirierenden Basis eines Ausnahme-Drehbuchs. In einer idealen Welt müsste es mehr solcher Fernsehkrimis geben, erklärt die Jury und vergibt den Sonderpreis für eine herausragende Leistung Alexander Adolph für das Beste Drehbuch „Der tiefe Schlaf“.
Dem Krimi-Jahrgang 2012/13 hatte die prominent besetzte Jury zuvor hohe Qualität bescheinigt: Der Trend in einem lange Zeit allzu stabilen Genre geht erkennbar hin zu komplexeren Charakteren und Geschichten – denn immer mehr Autoren verabschieden sich von der Fall-Aufklärungs-Routine nach Schema F.
Foto 1: WDR Wolfgang Ennenbach, Foto 2: Alexander Fischerkoesen