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Je näher das Bürgervotum über die CityBahn in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden rückt, desto härter und schroffer wird über das Thema und das Vorhaben diskutiert. Für die einen ist es eine große Chance und der Schritt zur wichtigen sowie notwendigen Verkehrswende, für die anderen ein unsägliches Projekt das die Autofahrer ausbremst, das Stadtbild verschandelt und ein “Millionen-Grab“ ist.
Seit gut vier Jahren wird über die CityBahn diskutiert und hochemotional gestritten. In den letzten Wochen ist mehr Würze und Schärfe hinzu gekommen. Das liegt zum einen daran, dass der Tag der Entscheidung (1. November) immer näher rückt und zum anderen, dass die beiden Lager ihre Standpunkte nur mit den für sie jeweiligen positiven Argumenten ausführen und belegen.
Ein konstruktives Miteinanderreden und eine gemeinsames Gespräch darüber wie der zukünftige Verkehr in Wiesbaden aussehen soll und kann, gibt es nicht.
Genauso wenig wie eine Zusammenführung zwischen den Befürwortern und Gegner der CityBahn. Gert-Uwe Mende (SPD) hatte das in seinem OB-Wahlkampf angekündigt und versprochen. Dazu ist es nicht gekommen. Beide Parteien kämpfen für ihre Meinung und versuchen die Bürger von ihrer Ansicht zu dem Straßenbahnprojekt zu überzeugen.
Die Aufgabe von Mende als Stadtoberhaupt ist es, eine offene und ehrliche Informationspolitik zu dem Projekt zu betreiben. Dies erwarten die Bürger und dabei gilt es auch, nicht nur die zu erwartenden Vorteile, sondern alle Nachteile und Probleme des Multimillionen-Projektes aufzuzeigen.
Schließlich kann man, wenn der Baustart erfolgt und die Trasse mit all seinen baulichen Veränderungen fertiggestellt ist, dieses Projekt nicht wieder einfach so stoppen oder rückgängig machen. Es gehört eine saubere Planung und Erläuterung dazu.
Deshalb braucht es jetzt Klarheiten und Wahrheiten zu allen Punkten und Aspekten.
Beide Seiten werben aktuell sehr intensiv um ihre Anliegen zu dem Großprojekt und damit um die Gunst der Wähler. Die Beführworter-Gruppe sowie die Pro CityBahn Initiative mit großen Informationsständen sowie Informationsveranstaltungen, Plakaten, große Werbetafeln, Broschüren, Flyern und massiven Marketing und Werbeauftritten. Es wird viel Aufwand und Engagement in die Sache gesteckt. Alles finanziert von dem Unternehmen CityBahn GmbH.
Die Gegner sind die Bürgerinitiative “Mitbestimmung“ und “Busse statt CityBahn“ sowie weitere kleinere Gruppen, die eine Straßenbahn durch Wiesbaden für keine optimale Lösung der zukünftigen Mobilität in der Stadt halten. Auch diese Parteien haben vor ein paar Wochen Plakate im Stadtgebiet aufgehängt. Entlang der Biebricher Allee, die zum Teilstück der CityBahn-Strecke gehört, wurden Plakate an den Bäumen befestigt mit sehr plakativen und emotionalen Slogan wie “Dieser Baum muss weichen für die Straßenbahn“ oder “Rund 200 Bäume müssen für die CityBahn gefällt werden“. Der Konter kam von der Pro CityBahn Fraktion direkt. Eigene Plakate mit den Botschaften “Unser Anschluss an die Zukunft - Die Straßenbahn für Wiesbaden“ und “Die Allee bleibt erhalten. Dieser Baum auch – Fakten statt Lügen“.
Die Gruppe “Mitbestimmung“ informiert die Bürgerinnen und Bürger mit kleinen Informationsständen und Informationsveranstaltungen über das Projekt mit der Tragweite und den Konsequenzen aus ihrer Sicht.
Die Pro-Seite wäscht das Vorhaben und die CityBahn schön, in allen Prospekten und Veranstaltungen werden so gut wie nur die Vorteile dargestellt und betont. Die Gegner argumentieren meist mit harten Worten und Fakten.
Auch in den sozialen Netzwerken wird derzeit ein wilder und heftiger Schlagabtausch geführt. Die Fällung von den alten und herrschaftlichen Bäumen ist da ein beliebtes Diskussionsthema. Besonders im Bereich der Biebricher Allee.
In einem Pressegespräch hat Mende letzte Woche (7. Oktober) versucht, Sachlichkeit in die Diskussionslage zu bringen. „Natürlich lässt sich nicht beim Bau der CityBahn vermeiden, dass Bäume gefällt werden. Jedoch wird es nur einen kleinen Teil, etwa 10 bis 15 %, des Grüns treffen. Und jeder dieser Bäume wird ersetzt. Dies wird auch durch die Baumschutzsatzung der Stadt Wiesbaden abgesichert, die zu Ersatzpflanzungen verpflichtet“, so der Oberbürgermeister.
Zudem fügte er an: „Teils ist sogar die komplette Neupflanzung von Bäumen geplant, sodass an einigen Stellen neues Grün hinzukommt. Der Alleecharakter zwischen der Innenstadt und Biebrich bleibt erhalten und er wird sogar noch verlängert.”
Mende treibt die Sorge um, dass der Streit die Stadtgesellschaft noch tiefer spaltet als ohnehin schon geschehen. Mit der Pressekonferenz versuchte er, mit den Unwahrheiten aufzuräumen. So erklärte er zu dem Gerücht, dass 50 % der Bushaltestellen entlang der Straßenbahnlinie wegfallen: „Es werden keine Bushaltestellen entfallen. Einige Linien werden sich ändern insbesondere die 4, 14 und 6.“
Auch der vermeintlichen Fahrpreiserhöhung mit und durch die CityBahn widersprach er. „Die Fahrpreise änderten sich wegen der CityBahn nicht, diese sind einheitlich über den RMV geregelt.“
Für den Oberbürgermeister stellt sich die Frage: „Wollen wir von dem großen Kuchen, welchen das Land uns zur Verfügung gestellt hat, erstmals für Wiesbaden etwas abbekommen, denn Wiesbaden hat für den Ausbau von Schienenprojekten noch nie profitiert, ganz im Gegenteil. Andere große Städte in der Nachbarschaft dafür schon.“
Für Schienenprojekte hat die hessische Landeshauptstadt noch kein Geld vom Bund erhalten, dafür für andere Verkehrsprojekte wie die Elektro- sowie Brennstoffzellenbusflotte die alle Dieselfahrzeuge von ESWE Verkehr in den kommenden Jahren ersetzen sollen. Rund 80 % der Anschaffungskosten übernimmt der Bund.
Eine weitere Förderung hat Wiesbaden für den Green City Plan-Masterplan “WI-Connect“ im Juli 2018 vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) erhalten. Diese 15 Millionen Euro sind für die Digitalisierung des Verkehrs, Vernetzung im ÖPNV, den Radverkehr, Elektrifizierung des Verkehrs und urbane Logistik vorgesehen.
Ein weiterer großer Streitpunkt sind die Kosten. Diese belaufen sich nach einer neusten Berechnung auf mindestens 426 Millionen Euro. Bundes- und Landesmittel übernehmen davon etwa 90 %. Wiesbaden bzw. die CityBahn GmbH muss demnach 28,7 Million Euro investieren. Für Mende ist das „ein Jahrhundertprojekt“. Die Summe bezieht sich lediglich auf den Bau der Gleis-Trasse mit der nötigen Infrastruktur.
Was Mende nicht erwähnte: Wiesbaden, Mainz und Bad Schwalbach müssen die Fahrzeuge der CityBahn und die Planungs- sowie Baunebenkosten zum größten Teil selbst tragen. Nach einer Schätzung liegen die Baunebenkosten wie die Erweiterung des Betriebshofes bei rund 82 Millionen Euro und die für die Fahrzeuge bei circa 114 Millionen Euro.
Von den Kritikern wurden in den vergangenen Wochen immer wieder das Argument ins Spiel gebracht, dass man das Geld für die Straßenbahn besser in etwas Anderes investieren kann, wie zum Beispiel in die Schule. Auch auf den Streitpunkt der Finanzierung ist Wiesbadens Stadtchef eingegangen: „Etwa 90 % sind Gelder aus den Fördertöpfen die von Bund und Land kommen. Und diese sind ausschließlich für die Förderung von schienengebundenen Infrastrukturprojekten vorgesehen. Somit ist das Geld zweckgebunden und kann weder in Schulen noch in andere soziale Projekte investiert werden.“
Ein weiteres Thema der Bahn ist ihre Umweltverträglichkeit und die angeblichen Einsparungen an CO2. Wie Mende erklärte: „diese liegt bei rund 4.500 Tonnen sowie eine Tonne Stickoxyd. Das entspricht einer Ersparnis von etwa 36 Millionen Pkw pro Jahr." Vorausgesetzt die Bahn wird intensiv genutzt. Dieser Vorteil wird sich nur dann ergeben, wenn die Pendler sowie die Wiesbadener das Auto stehen lassen und auf den ÖPVN und die Straßenbahn umsteigen. Sollte das nicht der Fall sein, entstehen hier zusätzliche Emissionen.
Da die Schienenfahrzeuge relativ schwer und in Kurven relativ laut sind, erzeugt die CityBahn entlang der Trasse in dichter Bebauung Erschütterungen und auch Lärmbelästigungen. Dies verneinte Mende und stellte die Behauptung als „unwahr“ dar. In dem Kurzbericht zur Planfeststellung der CityBahn steht in Kapitel 5 “Schwingungs- und schalltechnische Untersuchung“, dass es in allen Wiesbadener Streckenabschnitten der Bahn zu "Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte“ kommen wird. Für den Bereich des Biebricher Ortskerns ist das Urteil noch vernichtender: „Im südlichen Teil, der als allgemeines Wohngebiet eingestuft ist, sind großflächig über den gesamten Bereich Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV im Tag- und Nachtzeitraum zu erwarten.“
Hier stellt sich nun die Frage: Hat Mende, Befürworter der Bahn, dies gewusst und damit bewusst weggelassen oder hat er das Planfeststellungsdokument gar nicht gelesen und wurde ebenso wenig von seinem Team darüber in Kenntnis gesetzt.
Ungereimtheiten gibt es auch zu der Stellungnahme des Oberbürgermeisters zu dem zeitlichen Vorteil der Straßenbahn. „Auf jeden Fall gibt es diesen. Von der Hochschule RheinMain bis zum Wiesbadener Hauptbahnhof ist man mit der CityBahn 7 Minuten unterwegs. Mit dem Bus braucht man 13 bis 16 Minuten“, sagte er in dem Statement.
Wenn man sich die Broschüre zur CityBahn durchliest, dann findet man auf Seite 12 und 13 eine durchschnittliche Reisezeitgewinnung für alle Fahrgäste von circa 36 Sekunden. Das liegt unter anderem daran, dass der Straßenbahnverkehr im städtischen Umfeld unter den geplanten Randbedingungen grundsätzlich nur mit einer Streckengeschwindigkeit von max. 50 km/h fahren darf. Um Fahrzeitverluste infolge der zahlreichen Querungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren, werden alle Lichtsignalanlagen der Knotenpunkte des motorisierten Straßenverkehrs und der Fuß- und Radverkehrsquerungen mit ÖPNV-Bevorrechtigung ausgeführt. Das bedeutet, die Autofahrer werden hier ausgebremst.
Laut Mende nehmen es die Gegner mit dem Wahrheitsgehalt ihrer Argumente nicht immer sehr genau. Doch auch das Stadtoberhaupt scheint seine Worte nicht so exakt zu nehmen, Tatsachen anders darzulegen bzw. wesentliche Punkte zu dem Projekt CityBahn zu verschweigen.
Jede Bürgerin und jeder Bürger sollte sich kritisch mit dem Thema auseinandersetzen sowie gründlich und objektiv über das Projekt informieren. In circa zweieinhalb Wochen ist die Meinung aller Wiesbadener zu der CityBahn gefragt.
Rund 210.000 Bürgerinnen und Bürger sind stimmberechtigt und können sich für die Mobilität in der Region aussprechen, die für sie die Beste ist.
Bereits seit dem 25. September besteht die Möglichkeit, sich an der Abstimmung zu beteiligen und zwar entweder per Briefabstimmung oder in den Abstimmungsbüros in der Innenstadt und in den Ortsverwaltungen. Am eigentlichen Wahltag, Sonntag, 1. November, stehen den Bürgerinnen und Bürgern die wohnortnahen Abstimmungsräume in den insgesamt 191 Stimmbezirken zur Verfügung.
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Foto: CityBahn GmbH / Jan Schlotter