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Als gewählte Vertretung der regionalen Wirtschaft hat sich die Vollversammlung der IHK Wiesbaden in ihrer Sitzung am Mittwoch, 19. September, mit einer Mehrheit von 30 zu 6 Stimmen auf Grundlage der derzeit vorliegenden Informationen gegen den Bau einer CityBahn in Wiesbaden und im Rheingau-Taunus-Kreis ausgesprochen. Drei Mitglieder des Wirtschaftsparlaments enthielten sich bei der Entscheidung. Das Gremium machte deutlich, dass es sich dabei um einen Zwischenbeschluss auf Basis der derzeitigen Faktenlage handelt: „Für ein Projekt in dieser Größenordnung sind eine Reihe von Voraussetzungen noch nicht geklärt“, so der mehrheitliche Tenor. Vorausgegangen waren eine umfangreiche Bestandsaufnahme der bisherigen Fakten in einem 17-seitigen Papier sowie eine mehrstündige offene Aussprache im Parlament der Wirtschaft.
Die Unternehmerinnen und Unternehmer waren sich einig in der Feststellung, dass der Verkehr in der wachsenden Wirtschaftsregion Wiesbaden weiter zunehme und zu kollabieren drohe. Die verkehrliche Erreichbarkeit mit allen Verkehrsarten (Pkw, Lieferverkehr, ÖPNV, Fahrrad) sei ein wichtiger Standortfaktor und eine entscheidende Komponente für den Unternehmenserfolg und die Mitarbeitermobilität. Der leistungsstarke Ausbau des ÖPNV und des Radverkehrsnetzes sei dringend erforderlich, um die Straßen für Berufspendler und Wirtschaftsverkehre zu entlasten und die Mobilität zu gewährleisten. Dringend benötigt werde ein integrales Verkehrskonzept.
Nicht in Zweifel gezogen wurde, dass eine CityBahn gewisse Chancen für die Wirtschaftsregion bieten könne. So würde die Straßenbahn eine zusätzliche Verkehrsachse nach Mainz bilden, die Hochschule RheinMain besser anbinden und zudem Aartal und Untertaunus mit Städten wie Taunusstein und Bad Schwalbach besser erschließen. Nach der derzeitigen Faktenlage war die IHK-Vollversammlung jedoch nicht davon überzeugt, dass die CityBahn ein geeignetes Mittel zur nachhaltigen Lösung der Verkehrsprobleme in der Wirtschaftsregion ist.
So sei die CityBahn aufgrund der starren Linienführung zu unflexibel und könne nicht mit neuen technischen Entwicklungen im Bereich der Mobilität mithalten. Deutlich kritisiert wurde, dass das Stadtparlament Wiesbaden und der Kreistag des Rheingau-Taunus-Kreises es versäumt hätten, ernsthaft Alternativen zur CityBahn zu prüfen und diese öffentlich zu machen. Es sei beispielsweise bislang nicht plausibel vermittelt worden, warum der Einsatz größerer Busse oder die elektronische Koppelung mehrerer Busse zu einem Verbund nicht ebenso gut wie eine CityBahn in der Lage sei, eine höhere Zahl von Fahrgästen aufzunehmen. (Anmerkung der Redaktion: Vor allem dann, wenn durch Maßnahmen, wie sie im Notfallplan von Kowol und Gerich erläutert werden, der Autoverkehr in der Innenstadt bedeutend zurückgeht.)
Die Befürworter der CityBahn unter den Wirtschaftsvertretern erhoffen sich eine Belebung von Geschäften und Restaurants durch eine verbesserte Anbindung und mehr Fahrgästen an den Haltestellen – die Gegner wendeten ein, dass sich dadurch auch Kundenströme verlagern. Außerdem müssten Betriebe entlang der Strecke während der Bauzeit mit Umsatzeinbußen rechnen.
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage, wie eine Straßenbahn das Stadtbild beeinflusst und wie sich die Verlegung von Schienen auf den Verkehrsfluss auswirkt. Als Argument für eine CityBahn wurde genannt, dass Unternehmen für Mitarbeiter und vor allem Auszubildende besser erreichbar sind – und ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigt.
Die IHK Wiesbaden wird den weiteren Fortgang der Planungen zum Projekt CityBahn konstruktiv-kritisch begleiten und bei sich ändernder Faktenlage gegebenenfalls nochmals darüber diskutieren. Zur endgültigen Beurteilung der Frage, ob die CityBahn aus Sicht der Wirtschaft das geeignete Mittel zur Lösung der Verkehrsprobleme in der Region sein könne, fordern die Unternehmer eine seriös kalkulierte und transparente Nutzen-Kosten-Untersuchung, die auch Alternativen zur CityBahn prüft und benennt, besonders mit Blick auf Zukunftsfähigkeit, Beförderungskapazität, Wirtschaftlichkeit und Wirkungen auf den Verkehrsfluss sowie die lokale Wirtschaft.
Auch müssten Berechnungen und ein Finanzierungskonzept zu den Folgekosten vorliegen. Zudem solle eine Begleitstudie klären, wo durch die CityBahn Straßenzüge auf- oder abgewertet werden und mit welchen Folgen Einzelhandel und Gastronomie im Umfeld der Strecke rechnen müssen.
Im Detail fordert die Vollversammlung das Stadtparlament Wiesbaden und den Kreistag des Rheingau-Taunus-Kreises auf, folgende Aspekte zu klären:
Dem Votum der IHK-Vollversammlung vorausgegangen war eine intensive Meinungsbildung: So hatte die IHK im Vorfeld der Sitzung Positionierungen von Wirtschaftsverbänden, Werbegemeinschaften, der Wirtschaftsjunioren Wiesbaden sowie weiterer Akteure eingeholt.
Auch der Standortpolitische Ausschuss der IHK Wiesbaden hatte sich am 30. November 2016 und am 6. März 2018 mit den Planungen für eine CityBahn beschäftigt. Die Vollversammlung der IHK hatte die CityBahn bereits in ihrer Sitzung am 7. März 2017 auf die Tagesordnung gesetzt, sich damals jedoch bewusst nicht positioniert, um zunächst weitere Informationen einzuholen.
Außerdem hatte die IHK Wiesbaden gemeinsam mit der IHK Rheinhessen und den Handwerkskammern Wiesbaden und Rheinhessen am 6. August 2018 zur Informationsveranstaltung „CityBahn – Chancen und Risiken für die Wirtschaft“ eingeladen und Pro- und Contra-Stimmen auf ihrer Homepage dokumentiert.
Der Wiesbadener Verkehrsdezernent Andreas Kowol zeigt sich offen für die Forderungen der IHK-Vollversammlung. In einer Pressemitteilung äußerte er sich wie folgt: „Die Befassung der IHK mit der CityBahn bringt sehr wichtige Impulse für den gesamten Entwicklungsprozess. Im Dezernat begrüßt man wichtige Hinweise, da völlig klar ist, dass die CityBahn in ein integriertes Verkehrskonzept eingebunden werden muss und nicht alleine die umfangreichen Verkehrsprobleme der Stadt Wiesbaden lösen kann.
Das Dezernat arbeitet mit Hochdruck an einem derartigen Konzept, dass alle Aspekte der künftigen Mobilitätsentwicklung und Infrastruktur berücksichtigen wird.“
Das Dezernat begrüßt, dass die IHK die Diskussion um die CityBahn offen halten will und bereit ist, den Prozess kritisch zu begleiten. Das Dezernat stimmt mit der IHK überein, dass das Projekt CityBahn noch nicht entscheidungsreif ist, da noch viele Daten und Informationen fehlen. Die Beschaffung und transparente Aufarbeitung solcher Daten und Informationen ist derzeit Gegenstand des aktuell laufenden Planungsverfahrens (Entwurfs- und Genehmigungsplanung in Wiesbaden, Vorplanung in Mainz und demnächst im RTK).
Laut Kowol prüft die Stadt seit 17 Jahren Alternativen. Das Dezernat wird die Ergebnisse aktualisieren und nochmals verstärkt in die Diskussion einbringen; gerade im Zuge der Erarbeitung eines integrierten Verkehrskonzeptes.
Eine auch in Zukunft transparente und konstruktive Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen der CityBahn und die weitere Ausgestaltung der Mobilitätsalternativen in Wiesbaden wird ausdrücklich gewünscht und zugesagt.