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In den Fußgängerzonen hat sie wahrscheinlich schon jeder gesehen - Islamisten, die Korane verteilen und um neue Anhänger werben, aber auch in deutschen Gefängnissen sind sie aktiv. In dieser Ausnahmesituation sind junge Männer besonders empfänglich für die Versprechungen und die Aufforderung zur Radikalisierung.
Muslimische Seelsorger wie der Wiesbadener Imam Husamuddin Meyer können mit ihrer Arbeit verhindern, dass sich junge Männer (und fast nur diese sind betroffen) radikalisieren. Husamuddin Meyer, Ethnologe und Islamwissenschaftler, findet durch das im Gefängnis organisierte Freitagsgebet und sein Angebot der Seelsorge Zugang zu diesen jungen Männern. Über diese und weitere Aspekte seiner Arbeit, auch als Leiter der Beratungsstelle Salafismus, berichtete Meyer, der auch stellvertretender Imam einer Wiesbadener Moschee und sehr aktiv in der Bildungs- und Präventionsarbeit ist, am Mittwoch, 14. November, auf Einladung der CDU im Alfred-Dregger-Haus.
Wenn man Imam Husamuddin Meyer sieht, fällt zunächst nichts an ihm auf. In seinem für seinen Berufsstand typischen Kaftan und dem dazugehörigen Turban sowie dem langen grauen Bart, lässt er keinen Zweifel an seiner Stand offen. Sobald er jedoch seine Stimme erhebt und man reinstes Deutsch mit leicht hessischer Klangfärbung hört, widmet man seinen Worten erhöhte Aufmerksamkeit. Der Hesse fand als Jugendlicher bei einer Reise durch Nordafrika zum muslimischen Glauben, den er dort in einer mystischen und besonders friedlichen Version, dem Sufismus, kennenlernte.
Heute bedauert er es, dass sich das Bild dieser Religion derart negativ verändert hat. In seiner Gefängnisarbeit wird er täglich mit den Folgen der Radikalisierung junger Moslems konfrontiert. In seinem Vortrag schildert er die Umstände, die zu dieser Entwicklung führen. 2006 kam Husamuddin Meyer aus dem Odenwald nach Wiesbaden, um hier als Imam zu arbeiten. Zeitgleich begann auch seine Gefängnisarbeit.
Zunächst einmal die reinen Fakten: 1.200 Inhaftierte in hessischen Justizvollzugsanstalten sind Muslime. In Jugendgefängnissen liegt der Anteil muslimischer Gefangener bei rund 50 Prozent. 15 Imame kümmern sich zurzeit in Hessen um diese Menschen und betreuen dabei zwischen 1 und 90 Gefangene. Das Land stellt 300.000 Euro im Jahr für diese Arbeit zur Verfügung.
Zunächst muss man wissen, dass Moscheen sprachlich geprägt sind, je nach Ethnie predigt der Imam in Türkisch, Arabisch, Afghanisch, Bosnisch, Persisch oder einer anderen Sprache. Imam Husamuddin Meyer traf 2006 auf eine „sprachlose“ Klientel, die die Sprache der Eltern nicht fließend sprach und kein Angebot eines deutschsprachigen Imams hatte. So hatten sie nur wenig Informationen über die Inhalte des Korans, die in der Regel zunächst innerhalb der Familie und später über den Imam vermittelt werden.
Zu dieser Zeit war das Rhein-Main-Gebiet eine heiße Zone des radikalisierten Islam und unter den wurzellosen Jugendlichen waren sie das ideale Potential, um willige Krieger für die Ideen des IS zu generieren. So sah sich Imam Husamuddin Meyer mit Fragen konfrontiert, auf die er so zunächst nicht vorbereitet war. Denn viele Gefangene baten ihn um seinen Segen in kriegerischen Auseinandersetzungen wie Angriffe und Attentate. Zu diesem Zeitpunkt wurde ihm erstmals bewusst, wieviel Aufklärungs- und Basisarbeit notwendig sein würde, um diese Glaubensvorstellungen umzukehren. Er stellte fest, dass das Wissen vieler Jugendliche über den Islam und den Koran auf Youtube Videos basierte, in denen sogenannte Hassprediger im Namen der Religion offen zu Attentaten aufriefen.
Auch in den Medien konnten sich diese Extremisten platzieren und geisterten jahrelang als sogenannte „Experten“ durch Talkshows und arbeiteten sogar als Seelsorger in den Gefängnissen. Verschiedene Formen des islamischen Glaubens, wie zum Beispiel der Wahhabismus, der in Katar und Saudi-Arabien Staatsreligion ist und die aktuell wegen der Ermordung des saudi-arabischen Journalisten Dschamal Khashogg in seiner Heimatbotschaft in Istanbul ins Visier der Öffentlichkeit geraten ist.
2007 stellte man seitens der Behörden fest, dass, von Kostheim ausgehend, eine Art Bewegung entstand, in der sich radikalisierte Jugendliche sammelten. Dies war der Anlass für Imam Husamuddin Meyer, mit den Jugendlichen im Gefängnis ins Gespräch zu gehen. Zu Anfang hielt er ein regelmäßiges Freitagsgebet ab, aufgrund dessen die Mehrzahl der Gefangenen freiwillig den Kontakt zu ihm aufnahmen. Für die meisten war die Tatsache, Moslem zu sein, das einzige wirkliche Zugehörigkeitsgefühl in ihrem Leben. Durch die Erläuterungen von Glaubensfragen brachte die Arbeit von Imam Husamuddin Meyer Ruhe in die JVA. Dabei stand neben Glaubensfragen stets die Seelsorge im Mittelpunkt vieler Gespräche. Bewegt sprach Imam Husamuddin Meyer darüber, das die meisten jungen Männer eine Art Selbsthass in sich trugen, der es den religiösen Manipulatoren leicht machte, sie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Einschränkend wies Imam Husamuddin Meyer jedoch auch daraufhin, dass „Härtefälle“ so nicht erreicht werden können. Für sie muss es andere Angebote geben wie zum Beispiel die des hessischen Violence Prevention Network (VPN), der Beratungsstelle für religiöse Toleranz statt Extremismus.
Abschließend stellte Husamuddin Meyer fest, dass Hessen und auch Wiesbaden führend in Sachen Präventionsarbeit bei der Radikalisierung sind. Er fordert eine strenge Kontrolle der Imame in den Moscheen und deutschlandweit eine bessere Kooperation mit dem Verfassungsschutz.
Kleine und wichtige Schritte auf dem langen Weg der Integration, den Deutschland eindeutig zu spät beschritten hat.
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Fotos: Petra Schumann