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Erneut wurden Drohschreiben mit rechtsextremem Inhalt verschickt, erneut an zwei kulturpolitische Zentren in Wiesbaden. Die Adressaten, das Café Klatsch und eine weitere Einrichtung, die nicht genannt werden will, erhielten bereits am vergangenen Freitag, 28. August, per Post zwei Briefe, die sich mit ihren Drohungen allerdings nicht nur an die beiden Institutionen, sondern vor allem an die Zivilgesellschaft richten. Auf einer Pressekonferenz in der großen Halle des Schlachthofes haben Vertreterinnen und Vertreter vom Wiesbadener Bündnis gegen Rechts, des Café Klatsch, von Fridays for Future, Black Lives Matter Wiesbaden, Welcome United und der Kirche am Donnerstag, 3. September, über die Drohungen berichtet.
Klarer Tenor aller Beteiligten am Donnerstag: Wir wollen uns nicht einschüchtern lassen! Mit ihren Briefen – einer davon mit einem Hakenkreuz unterzeichnet – fordern die Absender die Allgemeinheit unter Androhung von Gewalttaten dazu auf, jegliches Engagement für eine offene Gesellschaft und gegen Rassismus niederzulegen. „Uns ist es wichtig, dass wir hier Schulter an Schulter stehen und sagen: wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir zeigen klare Kante gegen Rechts“, eröffnete Nele Kleinehanding vom Bündnis gegen Rechts die Pressekonferenz am Donnerstag.
Den Tätern dürfe keine Chance geboten werden, sich zu profilieren, erklärte Michael Wilk vom Bündnis gegen Rechts anschließend. Man nehme die Drohungen dahingehend erst, dass sie detailliert Bezug auf den Anschlag in Hanau und auf den Täter, Tobias R., nehmen. Die Absender geben an, das "Vaterland" mit ihren Taten vor der Zerstörung durch Politiker und engagierter Bürgerinnen und Bürger bewahren zu wollen. Die Texte sind gespickt von expliziten Gewaltandrohungen und geprägt von einem rassistischen und menschenverachtenden Weltbild. Im Zentrum die Aussage: Wir (die Täter) machen euch (die Gesellschaft) zu Mittätern, wenn ihr unseren Forderungen nicht nachkommt.
„Ganz klar wird in dem Schreiben ausgedrückt: Ziel und Objekt der faschistischen Begierde ist die Breite der Gesellschaft“, so Wilk. Auch die Kirche wird in den Schreiben wegen ihres Engagements für die Flüchtlingsrettung im Mittelmeer angegriffen. Andere gesellschaftliche Gruppierungen werden ebenfalls genannt. So etwa die Fridays-for-Future-Bewegung oder People of Colour. Dies verdeutliche, dass es keinesfalls um einen Randkonflikt gehe, sondern um einen Angriff auf alle. Die Zivilgesellschaft müsse darum nun antworten, erklärte Wilk: „Wir werden uns von solchen Sachen und auch von den Attentaten nicht einschüchtern lassen, sondern unsere Antwort wir genau das sein, dass wir diese gesellschaftliche Haltung weiter an den Tag legen, für Geflohene eintreten, Rettungsschiffe entsenden, uns für Minderheiten einsetzten und gegen eine Radikalisierung der Gesellschaft nach rechts eintreten.“
Joachim Tobschall, Mitglied des Kirchenvorstandes der Lutherkirche in Wiesbaden und der SPD, bezeichnete die Drohungen als "ekelhaft". „Von einer Stinkbombe zu einem Brandsatz zu einer Brandbombe entwickelt sich das Ganze und ich weiß, dass dies vor 90 Jahren auch so angefangen hat. Man kann nur warnen und der jungen Generation zurufen: Seid wachsam. Ich bin an eurer Seite. 70 Jahre Demokratie und 70 Jahre Frieden sind nicht selbstverständlich.“
Das Aufgeben keine Option ist, verdeutlichte auch Mihai Rehe von der Bewegung Black Lives Matter: „Für uns ist ganz klar: Wir machen genauso weiter wie bisher. Für uns steht es außer Frage, uns zurückzuziehen.“
Ein Ziel des Briefes sei es, die Gäste des Café Klatsch einzuschüchtern und sie von ihrem politischen Engagement abzuhalten, erklärte Lefteris Frei, der das Café Klatsch mit aufgebaut hat und dort nach wie vor als Gast verkehrt: „Alle wir, die das Café Klatsch jeden Tag besuchen, werden uns von solchen Drohbriefen nicht einschüchtern lassen. Wir werden weiterhin politisch aktiv sein.“ Zudem appellierte er an die Wiesbadenerinnen und Wiesbadener, in den kommenden Wochen und Monaten das Café zu besuchen, um Solidarität zu beweisen und zu verdeutlichen: „Der größte Teil der Wiesbadener wehrt sich aktiv gegen eine Faschisierung der Gesellschaft.“
Bereits im Februar 2019 hatten Einrichtungen in Wiesbaden Drohungen per Post erhalten. Diese waren an die Polizei weitergeleitet worden. „Wir haben aber bis jetzt nicht gehört: wurde ermittelt, gibt es Ermittlungsergebnisse - Wir haben einfach keine Rückmeldung bekommen“, kritisierte Nele Kleinehanding.
Wer die Schreiben verfasst hat ist unklar. Detaills sprechen aber dafür, dass es um die gleichen Verfasser handelt. Die neuen Briefe wurden mittlerweile von Beamten des dritten Polizeirevieres abgeholt, der Staatsanwaltschaft übergeben und von dort wiederum an den Staatsschutz weitergeleitet. Die Ermittlungen laufen.
Die Drohbriefe an zwei kulturpolitische Zentren in Wiesbaden reihen sich ein in eine Debatte rund um bundesweite rechtsextreme Drohungen an Privatpersonen, Personen des öffentlichen Lebens und Einrichtungen. Zuletzt war bekannt geworden, dass im Fall der "NSU 2.0"-Drohmail-Affäre personenbezogene Daten von bedrohten Personen von hessischen Polizeicomputern abgefragt wurden. Auch von Revieren in Wiesbaden waren Abfragen getätigt worden.
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Unabhängig von den neune Drohschreiben wird es am 24. Oktober in Wiesbaden eine Großdemonstration gegen rechtsextreme und rassistische Strukturen in der Polizei und anderen Behörden geben. Auch hessenweit soll demonstriert werden.