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Vor der Nordenstadter Taunushalle stehen zahlreiche Koffer, Säcke und Taschen. Es scheint, als ob die meisten Bewohner die Notunterkunft mit mehr Gepäck verlassen, als sie gekommen sind. Dank einer großzügigen Spende des Frankfurter Gepäcksanierungsunternehmen Dolfi, die 120 Koffer aus ihrem Bestand zur Verfügung stellte, konnten die Bewohner der Taunushalle ihr Hab und Gut verstauen. Der Rest wurde sorgfältig in Tüten und Taschen verpackt, nummeriert und gemeinsam mit den Helfern in den großen Lastwagen der Feuerwehr gepackt. In einem anderen wurden die Klappbetten Betten und Matratzen gepackt, die in Kastel weiterverwendet werden.
Björn Hörnle, Regionalvorstand der Johanniter Unfallhilfe und Einsatzleiter vor Ort, zieht eine positive Bilanz. Mit der Schließung der Notaufnahmehalle in Nordenstadt endet für ihn und seine Kollegen eine über vierwöchige Ausnahmesituation, die keiner von ihnen jemals so erlebt hat. Trotzdem ist er vom gesamten Ablauf mehr als zufrieden. Zunächst zeigte er sich überwältigt von der Welle der Hilfsbereitschaft aus der Nodenstadter Bevölkerung. Täglich waren Menschen vor Ort, die mit kleinen und großen Diensten die Helfer unterstützten. Gerade diese menschliche Zuwendung sei für viele Flüchtlinge enorm wichtig. „Besonders die Kooperation zwischen den einzelnen Hilfsorganisationen war klasse“, sagt Hörnle. Wir haben oft zusammen gesessen und Erfahrungen ausgetauscht. So sind schnelle und praktikable Lösungen für viele Probleme entstanden. Für die Zukunft wünscht er sich, dass diese Zusammenarbeit auch weiter Früchte trägt.
Alexandra Chytry, eine der zahlreichen Helferinnen, die den Auszug mit begleiten, sagt: “Es verläuft alles reibungslos, wenn die Leute weg sind, müssen wir noch die Halle säubern und den Rest aufräumen, dabei helfen uns die Menschen die hier geblieben sind natürlich. Trotzdem wird es wohl bis heute Nachmittag dauern“.
Vor dem Seiteneingang stehen zahlreiche Umzugskartons. „Wir lösen die Kleiderspende vor Ort auf und fahren die Sachen in die zentrale Sammelstelle nach Wiesbaden. Hier werden die Sachen ja nicht mehr benötigt“, sagt Hörnle.
Nach und nach füllte sich der Platz vor der Halle. Zwischen Frauen mit Kinderwagen, hüpfenden Kindern und geschäftig hin und her laufenden Männern, die immer mehr Gepäck aus der Halle holten, mischen sich auch einige Nordenstadter, die vom Umzug erfahren haben und jetzt Abschied nehmen wollen. Hildegard Werner schaut in den Bus und winkt einigen Leuten. Die 78-Jährige hat Tränen in den Augen. Sie erzählt, dass sie fast jeden Tag in der Halle war und ihr einige Menschen sehr ans Herz gewachsen sind. Plötzlich lösen sich ein junger Mann und eine Frau aus der Gruppe und laufen auf Hildegard Werner zu. Der junge Mann ergreift ihre Hand und drückt sie liebevoll, die Frau umarmt die alte Dame. Beide wurden in der Halle durch Hildegard Werner betreut und haben jetzt die Befürchtung, sie nach dem Umzug aus den Augen zu verlieren. Die alte Dame verspricht, beide in Kastel zu besuchen und ihnen Wiesbaden zu zeigen. Sie freuen sich auf die neue Unterkunft, in der sie nicht mehr mit Hunderten anderen in einem Raum leben müssen. Die Aussicht, Hildegard wieder zu sehen, macht den Abschied leichter.
Nach und nach füllt sich der große Gelenkbus. Es dürfen nur so viele Personen mitfahren, wie Sitzplätze zur Verfügung stehen. Das wollen ein paar Männer nicht einsehen und diskutieren lautstark mit den Organisatoren der ESWE und den Dolmetschern. Mittendrin Ebby Memarpuri, der Perser kam vor 48 Jahren und 8 Monaten als Student aus dem Iran nach Wiesbaden und engagiert sich seit dem für Ausländer in Wiesbaden. Der studierte Mineraloge und Sozialpädagoge, lernt Deutschland gerade von einer anderen Seite kennen. „Natürlich stehen wir vor einem großen Problem, aber das was hier in Wiesbaden passiert, kommt selbst für mich unerwartet. Wie viele Menschen helfen und sich engagieren ist auch für mich erstaunlich.“
Christiene Jouaux-Frönd wohnt genau gegenüber der Halle und konnte alle Geschehnisse Tag für Tag durch ihr Küchenfenster verfolgen. „Ehrlich gesagt kann ich über nichts berichten, die letzten Wochen liefen, bis auf das erhöhte Fahrzeugaufkommen und der Außenbeleuchtung bis 22:00 Uhr völlig ruhig ab. Da sieht es hier nach manch einer Sport- oder Festveranstaltung schlimmer aus“, so Jouaux-Frönd. „Jeden Tag haben die Bewohner vor der Halle alles aufgeräumt und gekehrt“, ergänzt sie noch. Auch Björn Hörnle von den Johannitern betont, dass es in den vier Wochen zu keinen nennenswerten Vorfällen kam. Da habe ich schon ganz andere Sachen erlebt, wenn viele Menschen beieinander waren.
Gegen 9:30 Uhr fuhr der erste Bus Richtung Kastel. Bis zum Nachmittag gab es noch viel zu tun, gemeinsam mit den Johannitern und den verbleibenden Bewohnern wurde die Halle gesäubert und für den Auszug der letzten 50 Menschen am Montag vorbereitet.
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Fotos: Petra Schumann